piwik no script img

Wenn der Regenwald lockt

Im ecuadorianischen Amazonasbecken bauen die Indianer eine eigene Tourismuswirtschaft auf. Doch der Umgang mit den „Gringos“ bleibt schwierig  ■   Von Martin Hager

Gegen Mittag kommt der Bus aus dem Hochland in Tena an. Tena liegt schon fast im Dschungel. Am Busbahnhof wartet Don Casimiro, der Schamane von Archidona, einem kleinen Ort im Wald. Von einem echten Vertreter dieser Zunft empfangen zu werden weckt Erwartungen. Don Casimiro Mamallacta sieht man seine besondere Berufung nicht an. Die Kleidung ist einfach, Hemd und Hose, nicht sehr sauber, das Übliche hier. Besonders gesprächig ist er nicht, aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Ein Schamane muss ins Innere seiner Patienten sehen können. Dazu nimmt er Ayahuasca, eine pflanzliche Droge, die ihm die nötige Vision ermöglicht, um eine Diagnose zu stellen. Reden bringt nicht weiter. Fünfeinhalb Stunden Talfahrt sind es von der Hauptstadt Quito bis hierher. 1.800 Höhenmeter – von den Anden zum Amazonasbecken – in einem klapprigen Linienbus

Wir sind hergekommen, um Öko- und Ethnotourismus zu betreiben, authentischen Dschungel zu erleben, feucht und heiß. „Kein anderes Land der Erde beherbergt eine größere Artenvielfalt“, verkündet die Broschüre des Tourismusministeriums. Ob damit auch die Ureinwohner, die Indigenas, gemeint sind, bleibt unklar.

Als der Ökotourismus Anfang der Neunzigerjahre an Bedeutung gewann, wollten die Indigenas nicht länger billige Handlanger großer Reiseveranstalter aus Quito sein und begannen, eigene Projekte aufzubauen. Einer von ihnen ist Nelson, der Sohn Don Casimiros. Seine Versuche, in Quito Fuß zu fassen, sind fehlgeschlagen, erzählt er: „Ich habe eine Zeit lang in einer Bäckerei gearbeitet. Aber wo nachmittags um fünf nicht ein Vogel singt, kann ich nicht bleiben.“ Er ging zurück in den Dschungel und machte seine Lizenz als Touristenführer. Zusammen mit seinem Bruder Elias, der sich zuvor als Theologiestudent versucht hatte, stampfte er dann Gästehäuser, so genannte Cabañas, aus dem Dschungelboden, mitten im Wald bei Archidona. Unterstützt werden die Indigenas häufig von weißen Ausländern, die ihr Herz an den Dschungel verloren haben und besser Bescheid wissen, wie man mit den Gringos umgehen muß. Einer dieser Liebhaber desRegenwalds ist der Kanadier Randy Smith. Er lebt seit Jahren in der Amazonasregion. Die lokale Bevölkerung hat das Recht, aus dem Tourismus Profit zu schlagen, ist seine Meinung: „Sie sind die Einzigen, die den Dschungel wirklich kennen, also sollen sie auch daran verdienen.“ Was ihnen seiner Ansicht nach fehlt, ist eine vernünftige Ausbildung im Umgang mit den Touristen. Deshalb hat er ein Buch für die Indigenas geschrieben, das „Manual de Ecoturismo“, ein Handbuch, in dem er, angefangen von Kochrezepten für Gringos, alles auflistet, was ein einheimischer Touristenführer wissen muss, um die Besucher zu beglücken.

In Archidona, dem letzten Vorposten des Dschungels, leben fast nur Indigenas. Die Mitte des Ortes ist ein Platz, notdürftig begrünt, viereckig. Um den Platz Häuser aus Stein, weiß gekalkt, ein paar Straßen führen ins Nichts. Die Hauptattraktion im Ort sind die europäischen Touristen auf dem Marktplatz, die nun erfahren, wie sich ein Zoogehege von innen anfühlt. So viel Anteilnahme tut gut. Über der Ortsbesichtigung wird es Nacht. Es regnet in Strömen. Nelson, der uns zu seinen Cabañas im Dschungel fahren wollte, lässt sich nicht blicken. Don Casimiro verspricht, uns einen Pickup zu besorgen. Er hat allerdings schon ziemlich glänzende Augen, das ist nicht sehr vielversprechend. Er verschwindet. Minuten später taucht aus dem Nichts ein Wagen auf und fährt uns in die Nacht.

Die Stimmung draußen bei den Cabañas ist gedrückt. Nelson hat uns nicht einfach vergessen, er ist verschwunden. Wegen eines Fests sind ortsfremde Polizisten in Archidona. Wenn die ihn gestoppt haben, ist es kein Wunder, dass er nicht mehr auftaucht.

Am nächsten Tag führt uns Elias auf dem Gelände herum. Ob ihn das Verschwinden seines Bruders beunruhigt, ist nicht zu erkennen. Elias ist der politische Arm der Familie. Er ist aktiv in der weltweiten Vereinigung der Indianer. Er war in den USA, als Professor für Naturmedizin, wie er behauptet. „Sprachen lernen ist ganz einfach“, meint er. „In Italien war ich mal ein paar Wochen, ist ja fast dasselbe wie Spanisch.“ Fehlende Italienischkenntnisse schränken seine Glaubwürdigkeit ein wenig ein. Doch seine Heilmethoden sind – im wahrsten Sinne des Wortes – umwerfend. Ein juckendes Auge behandelt er nicht etwa mit Medizin. Er nimmt etwas Wasser in den Mund und bläst es dem Patienten mit Hochdruck ins Auge. Funktioniert perfekt. Später stellt sich heraus, die Angst um Nelson war unbegründet. Er ist in dieser Nacht einfach in einer Kneipe versackt.

Szenenwechsel: Am nahegelegenen Rio Napo, tief im Dschungel, liegt die Yachana Lodge. Ein Beispiel nordamerikanischer Tourismuskunst. Sie ist nur über den Fluss zu erreichen, mit dem Motorboot dauert es circa drei Stunden. Am Hafen, wo das Boot uns erwartet, ist es trocken und warm. Zwei Bier in der Mittagshitze tun ein Übriges, um den Europäer in einen glückseligen Zustand zu versetzen. Gemächlich fließt der Fluss, eine leichte Brise fächelt die Palmen, das Boot schaukelt träge im Wasser. „Mit Ihren Augen, Ihren Ohren, Ihrem Herzen“ verspricht die Werbebroschüre der Lodge, „teilen Sie die Erfahrung mit dem Amazonas, wandern im Regenwald, arbeiten mit seinen Bewohnern. Lassen Sie Ihre Phantasie die Realität erforschen, verstehen Sie die Bedürfnisse und lernen Sie zu unterscheiden.“ Das ist professionelles Marketing. Dieses Urlaubsparadies dient aber nicht kapitalistischen Interessen. Der „Gringo“, der es gegründet hat, wollte damit einen Fonds zur Unterstützung der einheimischen Bevölkerung einrichten. Das Projekt wird größtenteils von Indigenas betrieben, aber es ist – im Gegensatz zu den Cabañas von Archidona – nicht ihr eigenes Projekt. Eine Klinik, eine Imkerei und eine Marmeladenfabrik sind Bestandteile der Stiftung, alles kann besichtigt werden. Für Dschungelführungen ist Jorge zuständig, Chef eines der benachbarten Indigena-Dörfer.

Das Projekt möchte den Touristen „interaktiven Urlaub“ ermöglichen. Sie sollen sehen, an wen ihr Geld fließt. Dazu dienen Videoabende, ein Mitmachprogramm im Korbflechten und ein Besuch beim Heiler, bei dem der Tourist erst rituell gereinigt wird und dann selbst Speerwerfen, Blasrohrschießen und Einbaum fahren darf – was naturgemäß alles nur bedingt klappt. Insbesondere der Versuch, mit dem Einbaum einen wenige Meter breiten Bach zu überqueren, endet bei allen Probanden kläglich. Wer es bis ans andere Ufer schafft, landet weit unterhalb der Anlegestelle und muss vom Heiler, der klugerweise Gummistiefel trägt, gerettet werden.

Die Einheimischen sind sehr schüchtern, was nicht recht zum Dienstleistungskonzept professioneller Freundlichkeit passt, wie es sich der Projektgründer aus den USA vorstellt. Der Kellner der Yachana Lodge mit dem hübschen Namen Delfin zieht einem mit stoisch-hilflosen Gesichtsausdruck den Teller unter den Fingern weg, kaum dass der letzte Bissen gegessen ist.

Jorge, am Vorabend ein eher unbeholfener Redner, erklärt jede Pflanze, jeden Baum. „Der Dschungel ist Jorges Welt, er lebt förmlich auf. Ein außerplanmäßiger Besuch in seinem Heimatdorf ermöglicht uns die lang erwartete Tuchfühlung mit dem „echten“ Leben. Der Ort heißt Buena Vista, das Zentrum ist ein Fußballfeld, drumherum stehen der Versammlungsraum, die Schule und ein paar Wohnhäuser, alles aus Holz, z. T. auf Stelzen. Die Schüler tragen Uniform, sie begaffen uns, wir begaffen die Schüler. Stolz führt uns Jorge herum, zeigt uns sein Heim, seine Kinder, seine Frau. Dass uns der Papier- und Plastikmüll, der um die Hütten verstreut liegt, nicht sonderlich gefällt, stellt er als Dorfchef peinlich berührt fest. „Das sind die Jugendlichen“ meint er, „die haben hier gefeiert.“ Scheinbar sind sie dabei um jedes Haus herumgelaufen sind, um den Müll gleichmäßig zu verteilen. Die Wahrheit liegt anderswo: Auch im Dschungel fällt Verpackungsmüll aller Art an. Was nicht als Spielzeug oder Gefäß Verwendung findet, bleibt eben liegen. Die Müllabfuhr kommt nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen