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Nur Dumme treten nicht ab!“

Bei der größten Demo seit 1989 fordern 90.000 Tschechen eine neue Regierung  ■   Aus Prag Ulrike Braun

Auf dem Prager Wenzelsplatz wird wieder eifrig mit Schlüsseln gerasselt. So hat das Volk schon vor zehn Jahren die „samtene Revolution“ gegen die kommunistischen Herrscher eingeläutet. Diesmal gilt das Geschepper der neuen Politikerriege: Premier Miloš Zeman und Wende-Wunderkind Václav Klaus haben fertig. Rund 90.000 Menschen hatten sich am Freitag in der Prager Innenstadt versammelt, um dies den Herren mitzuteilen. Ihre Botschaft unterstrichen viele mit Parolen, wie „Nur Dumme treten nicht ab!“

Angefangen hat der Protest bei den Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Samtenen Revolution am 17. November. „Danke, geht!“ hatten sich Studenten der Bewegung von damals auf ihre Banner geschrieben und die Bürger gefordert, ihren gleichnamigen Aufruf zu unterstützen. Darin verlangen sie den Rücktritt der CSSD-Minderheitsregierung und rufen dazu auf, mehr Druck auf Politiker auszuüben.

Seit den Parlamentswahlen im Juni 1998 fehlt in Tschechien die parlamentarische Opposition. Weil keine Partei weder eine absolute Mehrheit erringen, noch sich mit einem Koalitionspartner einigen konnte, krochen Sozialdemokraten (CSSD) und die konservative Bürgerlich Demokratischen Partei (ODS) mit Hilfe eines Oppositionsvertrags unter die gleiche Decke. Seitdem regiert die CSSD von der Gnade der ODS abhängig und auf Kosten des politischen Klimas. Anstelle konstruktiver Diskussionen regieren dumme Sprüche. So versprach Sozialdemokrat Zeman jüngst der ODS und ihrem Vorsitzenden Klaus, ihnen eines Tages das CSSD-Logo auf die Haut zu brennen.

Der Wähler sucht die Alternative links der Mitte. Tschechiens Kommunisten (KSCM) mischen bei den Wählerpräferenzen ganz vorne mit. Davor warnen auch die Studenten von 89: „.Die gegenwärtige politische Situation und die unfähige Führungsspitze der Parteien schaden der Tschechischen Republik, und die Frustration der Bürger trägt zur Steigerung der Präferenzen der KSCM bei“, heißt es in ihrem Aufruf.

Zur politischen Einöde gesellen sich die dunklen Machenschaften der Regierenden. Premier Zeman predigt zwar von sauberen Händen, bei seinen Ministern und der CSSD stößt er damit aber auf wenig Gehör. Vizepremier Egon Lansky musste gehen, weil er undurchsichtige Konten in Wien besitzt, Ex-Finanzminster Ivo Svoboda sitzt in Untersuchungshaft, weil er illegal Geld verschoben hat. CSSD-Politiker lassen sich ihre Handy-Rechnung von einer PR-Firma begleichen, andere vergessen fünf Jahre lang ihre Miete zu zahlen. „Eine Voraussetzung der moralischen Wiedergeburt der Gesellschaft ist auch das Versprechen einer inneren Anständigkeit bei jedem von uns“, meint dazu der Aufruf „Danke, geht!“ Seit dem 17. November haben ihn etwa 100.000 Menschen unterschrieben. Viele hoffen, dass aus der Petition nun eine „Partei der bürgerlichen Anständigkeit“ entsteht.

Klaus und Zeman versuchen, die Proteste auf ihren angesägten Stühlen auszusitzen. Er könne lässig eine halbe Million Unterschriften sammeln, sagte Václav Klaus. Staatstreue Medien spielen die Demo vom Freitag herunter. Dennoch, in Prag hat der überfüllte Wenzelsplatz Erinnerungen wachgerufen. Man munkelt von einem „Samtenen Dezember“ ...

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