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Mit Bildungsarbeit gegen Polizistenprügel

Wie kann man Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei vorbeugen? Auskunft gibt eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Diebe oder Demonstranten können von den festnehmenden Polizisten schon mal Prügel beziehen – weil diese die Justiz für zu lasch halten

von OTTO DIEDERICHS

Einrichtungen der Flüchtlingshilfe und Opferberatungsstellen können ein Lied davon singen: Viele der Menschen, die sich an sie wenden, sind Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt geworden. Aber auch Nichtmigranten können niederschmetternde Erfahrungen mit der Staatsgewalt machen. Wie es zu ungerechtfertigter Gewaltanwendung durch Polizisten kommt und was dagegen getan werden kann, ist das Thema der Studie „Menschenrechtsbildung für die Polizei“, die das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) am Donnerstag vorstellte.

Der Autor, der ehemalige Polizist Günter Schicht, erkennt vielfältige Gründe: Fremdenfeindlichkeit, Frustration, persönliche Überforderung. Zitat: „Angriffe auf ihre Autorität können Polizistinnen und Polizisten schwer aushalten, da sie ihnen aus dem traditionellen polizeilichen Rollenverständnis heraus unhinterfragbar erscheint. Sie empfinden eine nahezu uneingeschränkte Notwendigkeit, diese Autorität bestätigen zu müssen.“

Das Interesse war groß: Rund 50 Personen, überwiegend aus polizeilichen Ausbildungseinrichtungen, hatte sich eigens zu der Präsentation auf den Weg nach Berlin gemacht. Bei der Beurteilung von Schichts Analyse blieb man freilich zurückhaltend: In jedem Punkt stecke „ein Körnchen Wahrheit“, sagte Ursula Falkenstern, Leitende Kriminaldirektorin im Stab des Berliner Landeskriminalamts. Im Bundesdurchschnitt stehe die hauptstädtische Polizei jedoch „besser da als manche andere“.

Was den Ausbildungsbereich betrifft, hat Berlins ranghöchste Polizistin tatsächlich recht: Konflikttraining und Rollenspiele, interkulturelle Seminare durch externe Trainer und Moscheenbesuche sind fester Bestandteil der Ausbildung. Politische Bildung gilt als „K.O.-Fach“: Wer hier durchfällt, dem helfen auch alle Rechtskenntnisse nicht weiter. Und im Unterschied zu anderen Bundesländern sammeln die meisten Berliner Jungpolizisten nach ihrer Ausbildung erst einmal Berufserfahrung in den Abschnitten, bevor sie in geschlossene Einheiten versetzt werden.

Warum auch das offenbar nicht reicht, führte der Sozialwissenschaftler Raphael Behr bei der Debatte im DIMR auf die sogenannte „Cop Culture“ zurück: „Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Street-Cops stehen noch über dem geltenden Recht.“ In den polizeilichen Alltag übersetzt hieße das: Ein Kleindealer, Dieb oder Demonstrant kann von den festnehmenden Beamten durchaus Prügel beziehen, weil diese die Justiz für zu lasch halten – und was der (vermeintliche) Delinquent erst mal hat, nimmt ihm keiner mehr. Auch Behr hat selbst 15 Jahre als Polizist gearbeitet und weiß, wovon er spricht. Einig waren sich denn auch alle Versammelten, dass die Gefahr einer Verfestigung solcher Verhaltensweisen besteht, wenn Übergriffe nicht als objektives Problem gesehen, sondern tabuisiert werden.

Eine wichtige Rolle spiele daher, so Ursula Falkenstern, „die erste Hierarchieebene“ – also die Abschnitts- und Dienstgruppenleiter sowie Gruppen- und Hundertschaftsführer. Menschenrechtsbildung sei neben der Ausbildung auch eine „permanente Führungsaufgabe“ und nehme deshalb zu Recht auch höhere Hierarchien bis hin zum Polizeipräsidenten nicht aus. Insgesamt, so Falkenstern, müsse man hier aber noch „einige Potenziale abrufen“.

Das alles nützt wenig, wenn die Politik nicht mitzieht. Oder sich auf wohlfeile Statements beschränkt wie Clemens Binninger (CDU), der mit 23 Jahren Polizei- und Ministerialerfahrung heute im Bundestag sitzt und Mitglied des Innenausschusses ist. Sicher gebe es noch „Schwachpunkte“, aber „unterm Strich muss man doch das Positive sehen“. Sein SPD-Kollege Sebastian Edathy kam kurz vor Veranstaltungsende, trug sich als anwesend ein, griff eine Studie und verschwand. Auch das war immerhin mehr, als von vielen anderen Fachpolitikern zu sehen war.

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