: Belgrad befürchtet Kettenreaktion
Mit der Kosovo-Frage ist die „Albanerfrage“ in der Region längst nicht gelöst
Belgrad taz ■ „Die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen würde heißen, die nackte Gewalt anzuerkennen“, brachte erst vor kurzem Serbiens Expremier Vojislav Koštunica die Haltung Belgrads in der Kosovo-Frage auf den Punkt. Die Unabhängigkeit des Kosovo wäre ein „Raub“ von 15 Prozent des serbischen Territoriums und ein „gefährlicher“ Präzedenzfall im internationalen Recht, der eine Kettenreaktion in der Region und der ganzen Welt auslösen könnte, warnte er.
Belgrad ist zwar bereit, eine weitgehende „wesentliche“ Autonomie des Kosovo im Rahmen der Grenzen Serbiens zu akzeptieren, lehnt aber eine formale Unabhängigkeit der südserbischen Provinz, egal ob „bedingt“ oder „überwacht“, kategorisch ab. Die serbische Regierung beruft sich auf die vorhandene UN-Resolution 1244, die das Kosovo als einen Bestandteil Serbiens definiert, und auf internationales Recht, das die „territoriale Souveränität eines demokratischen Staates“ garantiert. Serbien besiegelte seine Position mit zwei Parlamentsresolutionen und der im vergangenen Herbst verabschiedeten Verfassung, die das Kosovo als einen Bestandteil Serbiens definieren und alle staatliche Institutionen verpflichten, eine eventuelle Unabhängigkeit „niemals“ anzuerkennen.
Serbische Politiker rufen die internationale Gemeinschaft seit langem dazu auf, sich nicht von extremistischen albanischen Gruppen im Kosovo „erpressen“ zu lassen. Gemeint ist die Gefahr eines bewaffneten Aufstands der Kosovo-Albaner, falls die Unabhängigkeit länger hinausgezögert wird. Die Sicherheit der UN-Zivilverwaltung und die internationale Friedenstruppe im Kosovo, KFOR, wären davon besonders bedroht. Dieses Argument konnte man auch im Europarat von britischen Vertretern hören, die sich für die sofortige Unabhängigkeit des Kosovo einsetzten.
Die Lösung des völkerrechtlichen Status des Kosovo ist allerdings noch längst nicht die Lösung der albanischen Frage auf dem Balkan. Die Albaner in dem an das Kosovo angrenzenden Presevo-Tal in Südserbien erklärten sich in einem Referendum 1992 für eine Angliederung an das unabhängige Kosovo. In Mazedonien machen die Albaner rund 25 Prozent und in Montenegro 7 Prozent der Bevölkerung aus. Auch in Bosnien werden Reaktionen in der serbischen Entität „Republika Srpska“ (RS) befürchtet. Ministerpräsident Milorad Dodik hat mehrmals ein Unabhängigkeitsreferendum in der RS in Aussicht gestellt.
ANDREJ IVANJI
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