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0,8 Promille Humor

Eine deutsche (!) Wissenschaftlerin hat das Verhältnis von Komik und Alkohol untersucht

Wochenlang experimentierte die Humorforscherin im Pointenlabor, bis der Witz saß

Lange Zeit war die Spitzenwissenschaft schlechthin die Alchemie. Doch weil dabei nur Meißner Porzellan herauskam, wurde die Alchemie von der Atomphysik abgelöst. Die hielt auch nicht, was sie versprochen hatte, und wird jetzt in Michael Glos endgelagert. Die Gemeinde der Fortschrittsgläubigen schwor sich deshalb auf die Molekulargenetik ein. Da es hier statt zur Herstellung von Tyrannosauriern bloß zum Klonen von Schafen gereicht hat, findet alle Welt die vormalige Stardisziplin heute zum Genen. Aktueller Spitzenreiter in den Naturwissenschaften ist seit circa 2004 die Neurologie. Auch hier zeichnet sich der Fall in die Albernheit ab.

Obwohl die Obereierköpfe der Fakultät mit ihren Thesen vom „Ich-Konstrukt“ und „neural determinierten Willen“ schwer Eindruck schinden, arbeitet nämlich der forschende Nachwuchs daran, die Neurowissenschaften gründlich zu blamieren. Avantgardistin der Selbstabschaffung dürfte Dr. Jennifer Ueckermann von der Uni Bochum sein. Ihre Studie über den Zusammenhang von Humorlosigkeit und Alkoholkonsum brachte es zunächst ins Fachblatt Addiction, von dort auf die Website „Medical Tribune“ und am 26. Januar zum Aufmacher der Wissenschaftsrubik von „SZ Online“. Bild schweigt bislang, wahrscheinlich weil Dieter Bohlen dem Bild-Klatschonkel Norbert Körzdörfer die Sache nicht so erklären kann, dass es auch der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann versteht.

Dr. Ueckermann legte den Probanden – 29 Alkoholikern und 29 Abstinenzlern – einen Witz vor, der mit vier verschiedenen „Pointen“ versehen ist. Aus der Entscheidung für einen dieser Abgänge leitete die Neurologin ab, wie humorvoll der jeweilige Testteilnehmer sei. Leider vergaß Frau Dr. Ueckermann, sich für ihren Versuch einen ordentlichen Witz zu besorgen. Sie dachte sich lieber selbst einen aus. Und der geht so:

„Ein seit langem verheiratetes Ehepaar – Andre und Jenny – hatte sechs Kinder. Nun hatte Andre es sich angewöhnt, seine Ehefrau als ‚Mutter von sechsen‘ statt mit ihrem Namen anzureden. Das fand Jenny zunächst sehr lustig, doch dieser Reiz verlor sich mit der Zeit. Eines Abends sagte Andre sogar vor Freunden beim Abendessen: ‚Mutter von sechsen! Es ist Zeit zu gehen.‘“ Diese Exposition ist so komisch wie eine Wurzelbehandlung. Und die Namen der Akteure lösen das dringende Verlangen nach einem guten Schluck aus. Die zur Wahl gestellten „Pointen“ aber sind erst recht nur besoffen zu ertragen:

„1. Sie sagte: ‚Ja, du hast recht, es ist schon sehr spät.‘

2. Sie sagte: ‚Ich komme schon, Schatz‘, doch sie stolperte über ein Tischbein und fiel genau auf ihr Gesicht.

3. Sie sagte: ‚Ich bin fertig, wir gehen – Vater von vieren.‘

4. Sie sagte: ‚Ich mag dieses Bild an der Wand.‘“

Die übelsten Sauertöpfe der Welt sind bekanntlich jene Leute, die auf Partys ausschließlich Apfelschorle anrühren und den fröhlichen Trunkenbolden um sich herum erklären: „Wir können uns auch ohne Alkohol amüsieren!“ Solche Spaßbremsen kreuzen pfeilgrad Nr. 3 als „korrekte Pointe“ an und gratulieren der Wissenschaftlerin zu ihrem „köstlichen Humor“. Das freut die Wissenschaftlerin. Sie ärgert sich hingegen über all die Saufbolde, die ratlos ein riesiges Kreuz über den Testbogen geschmiert und an den Rand geschrieben haben: „Wo is’n hier der Witz?“ Und dabei hatte Dr. Ueckermann sich solche Mühe gegeben! Wochenlang experimentierte sie im Pointenlabor, bis jedes Wort saß wie eine Hirnelektrode – und die Schnapsdrosseln wollen den Gag nicht kapieren?!

Die Neurologin hat sich für die Ignoranz der trinkfreudigen Probanden gerächt, indem sie jetzt behauptet, irgendein „Frontallappen“ werde durch Alkohol so sehr geschädigt, dass „humorvolle Stimuli“ nicht mehr verarbeitet werden können. Kein Zweifel, Frau Dr. Ueckermann hat weder von W. C. Fields noch von Wenedikt Jerofejew je gehört. Man hat ihr offenbar auch nie geflüstert, dass der angesoffene Mensch bereit ist, über so gut wie alles zu lachen. Neurowissenschaftler gehen nämlich nicht ins Bierzelt oder zum Karneval. Sie gehen nicht mal in die Kneipe. Sie bleiben lieber in ihren Labors. Denn dort haben sie ausschließlich mit Menschen zu tun, denen sie ungestraft ins Rückenmark piksen dürfen.

Bevor die glorreiche Neurologie den Weg aller Spitzenforschung gehen muss, sollte Dr. Jennifer Ueckermann ihre Studie aber schnell wiederholen. Und zwar mit diesem, vom „Wahrheit“-Expertenteam bei sechs Grappa, einem Weizenbier und zwölf Halben ausgebrüteten Edel-Testwitz: „Andreas, ein Alchemist, Andi, ein Atomphysiker, Andre, ein Molekulargenetiker, und Jenny, eine Neurologin, trafen sich im Museum für überschätzte Wissenschaften. Andre sagte: ‚Da ist ja die Mutter des Hirnschwurbels!‘ Jenny sagte:

1. ‚Ja, du hast recht.‘

2. ‚Da bin ich schon!‘, doch dann fiel sie voll auf die Fresse.

3. ‚Hallo, Väter von Nullen!‘

4. ‚Ich kann mich auch ohne Alkohol amüsieren.‘“

(Korrekte Pointe: Nr. 1.)

KAY SOKOLOWSKY

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