: Einen Traum planen
Obwohl sich alle Begehrlichkeiten auf Beyoncé richten, füllt sie das Zentrum nicht aus: Ansonsten ist Bill Condons Film „Dreamgirls“ fast perfekt
VON TOBIAS RAPP
Es sei falsch, zu glauben, Ruhm verderbe den Charakter, hat einmal jemand gesagt, der Diana Ross schon auf dem Schulhof kannte: berühmt wird, wer schon als Teenager unerträglich war. „Dreamgirls“, Bill Condons Verfilmung des gleichnamigen Musicals, erzählt die Story der Girl Group The Dreams, deren Geschichte in etwa der der Supremes entspricht. Und so glücklich diesem Film fast alles gelingt – die Entstehung der Soul Music im Aufstiegswillen von skrupellosen Kleinunternehmern zu verorten, die Verbindungen zur Aufbruchsstimmung der Sechziger zu benennen und die ökonomischen und politischen Chancen wie die künstlerischen und persönlichen Risiken des Crossovers nach Mainstream-Amerika zu schildern –, in einem scheitert er leider: „Dreamgirls“ traut sich nicht, seiner Hauptfigur, der Diana Ross nachempfundenen Deena, gespielt von Beyoncé Knowles, eine Persönlichkeit zu geben. Diana Ross mag einiges sein, nur eines ist sie bestimmt nicht: so langweilig wie Deena.
Ja, ein Musical ist kein Dokumentarfilm. Hier geht es um poetische Wahrheit. Wer aber bei aller sonstigen Akkuratesse ausgerechnet an der Stelle von der realen Geschichte abweicht, an der es interessant wird, der sollte dafür gute Gründe haben.
Worum geht es also? Drei Mädchen haben eine Girl Group gegründet und treten bei einem Talentwettbewerb auf. Curtis Taylor (Jamie Foxx), ein zynischer Manager, wie sich bald herausstellen wird, engagiert sie als Backround-Sängerinnen für einen berühmten Star (fantastisch: Eddie Murphy als eine Mischung aus Wilson Pickett und Marvin Gaye, aus Raubtier-Männlichkeit und postspirituellem Selbstzweifel, als der prototypische Soulsänger also). Der Manager ist ehrgeizig, er merkt, dass das Ende der Rassentrennung sich auch im Entertainment abbilden wird, und baut seine Girl Group entsprechend um. Die hübschere, hellere Deena ersetzt die dickere und schwärzere Effie (Jennifer Hudson) als Leadsängerin. Deenas Stimme ist schwächer und klingt weniger schwarz, also werden sich, so das Kalkül, auch Millionen weißer Plattenkäufer damit identifizieren können. Damit nimmt Erfolg wie Unheil seinen Lauf.
Fast alle Szenen spielen entweder auf, hinter oder über der Bühne und dem Aufnahmestudio. Eine Selbstbeschränkung, die dem Film einiges an Dichte verleiht. Was durch das wunderbare Gefühl für Details noch unterstrichen wird: die Plattencover, die überall an der Wand hängen und Variationen berühmter Originale sind, die Kostüme, die Tanzbewegungen. Elegant auch, wie durch zwei Szenen die Anbindung der Musik an den Zeitgeist hergestellt wird: Der Umstand, dass sich eine Platte mit Martin-Luther-King-Reden besser verkauft als ein Album der Dreams, verknüpft Soul mit der Bürgerrechtsbewegung. Auf die Rassenunruhen ist dagegen niemand vorbereitet, man macht die Tür auf, und auf einmal sind sie da. Da macht man die Tür schnell wieder zu.
Das Problem ist eben nur: Das Zentrum ist leer. Alle Begehrlichkeiten richten sich auf Deena, alle erzählerischen Fäden laufen bei ihr zusammen. Es erschließt sich bloß nicht, wieso. Außer gut aussehen darf Beyoncé nämlich nichts. Nicht richtig nett sein, nicht richtig gemein sein, nicht richtig singen (außer ganz am Schluss), sich weder für noch gegen irgendetwas entscheiden. Sie ist einfach nur da.
Dass Beyoncé Knowles sich diese Rolle ausgesucht hat, folgt ihrem eigenem Karriereplan, den sie sich bei Diana Ross abgeschaut hat. „Dreamgirls“ soll für Beyoncé das werden, was für Ross „Lady Sings The Blues“ war, der Film, in dem sie die Jazzsängerin Billie Holiday verkörperte (die Filmfigur Deena spielt „Cleopatra“). Nachdem Beyoncé ihre Girl Group Destiny’s Child für eine Solokarriere verlassen hat, ist dies der Schritt vom Popsuperstar zum universellen Überstar. Die Rolle der Deena ist also recht nahe an ihrem außerfilmischen Karriereprofil und deshalb glaubt sie wohl, sie dürfe nicht zu zickig sein. Tatsächlich hat Diana Ross aber damals eine Oscar-Nominierung bekommen. Beyoncé ist leer ausgegangen.
„Dreamgirls“. Regie: Bill Condon. Mit Eddie Murphy, Jamie Foxx, Beyoncé Knowles. USA 2006, 131 min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen