Die starken Schwestern

Weg aus der Provinz: Die Geschichte der Filmproduktion Kordes und Kordes und ihres Films „Vier Minuten“

Damals organisierte Meike Partys, um es wenigstens ab und zu mal krachen zu lassen

VON ESTHER SLEVOGT

Heute kommt Chris Krauss’ Film „Vier Minuten“ in die Kinos, die hoch emotionale Geschichte einer Klavierlehrerin, der es gelingt, die zerstörerischen Kräfte einer jungen Mörderin durch Klavierspiel zu bannen Der Film ist schon vorab vielfach preisgekrönt worden. Besonders die Hauptdarstellerinnen Monika Bleibtreu und Hannah Herzsprung haben abgeräumt – den Bayerischen Filmpreis zum Beispiel. Hier wurde auch die Firma, die den Film produziert hat, mit dem Nachwuchsproduzentenpreis ausgezeichnet, die Kordes und Kordes Film GmbH.

Die Filmproduktion wurde 2003 von den Schwestern Meike und Alexandra Kordes gegründet. „Vier Minuten“ ist ihr erster Kinofilm, und so richtig können sie den Triumph noch nicht fassen. „Auf einmal rufen lauter Leute persönlich bei uns an, deren Sekretärinnen vorher nicht mal mit uns reden wollten“, sagt Alexandra Kordes und lacht. Sie ist der kreative Kopf der Firma, ihre Schwester Meike stemmt den unternehmerischen Teil. Beide sitzen in ihrem Schöneberger Büro und erzählen gut gelaunt von schlaflosen Nächten und überstandenen Katastrophen. Und davon, dass sie schon zum Film wollten, als sie noch Kinder waren.

Vater Kordes produziert Lampen, doch es sind deutlich stärkere Lichtmengen nötig, um das düstere westfälische Provinzleben für die beiden Teenager in den Achtzigerjahren etwas aufzuhellen. So führt am Kino eigentlich gar kein Weg vorbei. Alexandra ist dreizehn, als sie ihr erstes Drehbuch schreibt. Mit von der Partie sind ihre beiden Freundinnen Gisela Schulte und Miriam Müntefering. Miriams Vater, kein Geringerer übrigens als Franz Müntefering, hilft den ehrgeizigen Teenies, das Werk dem ZDF anzubieten. Leider erfolglos, was die drei Mädchen nicht davon abhält, gleich das nächste Werk in Angriff zu nehmen. Franz Müntefering steht dem Trio derweil als verlässlicher Chauffeur ins nächstgelegene Kino zur Verfügung, und sichert auf diesem Wege wenigstens eine gewisse cineastische Grundversorgung.

Der unbedingte Wille, die Provinz zu überwinden, setzt sich bei allen Mädchen durch: aus Miriam Müntefering ist eine erfolgreiche Romanautorin geworden, Gisela Schulte wanderte nach Amerika aus und gehört heute zum Stab der Erfolgsserie „L-World“. Den „Vier-Minuten“-Regisseur Chris Kraus kennen die Schwestern, seit er für Rosa von Praunheim das Drehbuch des Films „Der Einstein des Sex“ bearbeitete. Da arbeitete Alexandra als Kamerafrau und Meike als Aufnahmeleiterin mit.

An der Entwicklung des Stoffs zu Kraus’ erstem Kinofilm „Scherbentanz“ hatte Meike Kordes ohnehin schon früh als Zuhörerin partizipiert. „Damals dachte ich, diese heftige Familiengeschichte klingt ja fast wie aus meinem eigenen Leben gegriffen“, sagt sie. Später war sie Aufnahmeleiterin bei der Entstehung des Films. Nun haben sie gemeinsam „Vier Minuten“ realisiert. Dass man mit Organisieren und Managen Geld verdienen kann, hat Meike Kordes bereits als Teenager begriffen. Damals organisierte sie Partys, um es im provinziellen Abseits wenigstens ab und zu mal krachen zu lassen. Zu diesem Zweck wurden leer stehende Scheunen und Schützenhallen angemietet und ein Bus-Shuttles organisiert, um die Jugendlichen aus den umliegenden Orten erst zum Schauplatz des Geschehens zu transportieren und später wieder heil auf ihre heimatlichen Dörfer zu verteilen.

Nach dem Abitur ging es für die beiden Schwestern so schnell wie möglich nach Berlin, wo Alexandra ein Praktikum bei Andres Veiels erstem Dokumentarfilm machte, bevor sie sich für das Kamera-Studium an der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen bewarb. Bestanden hat sie die Aufnahmeprüfung unter anderem mit einem Dokumentarfilm über die Reaktion ihrer Familie, als Schwester Meike eines Tages mit einer frischen Tätowierung auf dem Oberarm erscheint.

Das Ziel, einmal selbständig und unabhängig zu sein, verfolgten beide. Meike Kordes absolvierte dafür bei dem Berliner Dokumentarfilmregisseur und Produzenten Klaus Volkenborn eine Lehre als Filmkauffrau. Nebenbei ging sie zur Handelsschule, paukte Steno, Bilanzieren und Buchhaltung. Saß im Punkoutfit unter zukünftigen Kosmetikerinnen und Sekretärinnen. Aber all das kann keinen schrecken, der schon das Hochsauerland überlebt hat. Dann folgte ein Produktionsstudium an der HFF „Konrad Wolf“.

Jetzt steht im Büro der Kordes-Schwestern ein Bayerischer Filmpreis im Regal: ein etwas kitschiger, blauweißer Porzellanharlekin. „Wir sind sehr froh,“ sagt Alexandra, dann geht es zum Mittagessen an einen langen Ausziehtisch. Jeden Tag hat hier ein anderer Kochdienst. Heute ist Meike Kordes dran. „Das machen wir hier immer so,“ sagt Schwester Alexandra. „Wir sitzen alle mittags zusammen, statt irgendwo einzeln zu verschwinden.“ Das bündelt Energien und schafft so etwas wie Firmenkultur. Manchmal lassen sich die dunklen Kräfte der Provinz eben auch in zeitgemäße Formen der Geborgenheit überführen.