portrait: Kandidat für den Garten der Gerechten
Für die Rettung zahlreicher Juden während des Zweiten Weltkriegs soll dem Tunesier Khaled Abdelwahab eine späte Ehrung zukommen. Die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem sammelt Zeugen- und Beweismaterial, um demnächst darüber zu entscheiden, ob Abdelwahab für den Titel „Gerechte der Völker“ infrage kommt. Damit wäre er der erste Araber, dessen Name in die Ehrenwand im Garten der Gerechten gemeißelt würde.
Rund 21.000 Männer und Frauen wurden von der Jerusalemer Gedenkstätte in den vergangenen 40 Jahren gewürdigt, darunter auch 60 Muslime aus Albanien und Bosnien. Ziel ist, die „Guten so wenig wie die Bösen in Vergessenheit geraten zu lassen“. Gewöhnlich machen Überlebende auf ihre Retter aufmerksam. Viele werden erst posthum geehrt. Auf Abdelwahab stieß Robert Satloff, Direktor des Washingtoner Instituts für Nahost-Politik, bei Recherchen für ein Buch über arabische Retter von Juden.
Der Experte für Araber und islamische Politik intensivierte nach den Anschlägen vom 11. September seine Suche nach arabischen Rettern in Nordafrika. Satloff traf die aus Tunesien stammende Jüdin Anny Boukris in ihrer Wahlheimat Los Angeles, wo sie ihm berichtete, dass Abdelwahab 23 Juden, darunter ihre Eltern, rettete. Die Familien waren eng miteinander befreundet. Nach dem Einmarsch der deutschen Soldaten brachte Abdelwahabs Vater die von den Deutschen aus ihren Wohnungen getriebenen Juden in einer Olivenölfabrik unter. Der damals 32-jährige Khaled hatte herausgefunden, dass die Soldaten Annys Mutter Odette in ein Bordell an die tunesische Ostküste schaffen wollten. Die Familie verbrachte fast sechs Monate auf einem Bauernhof der Abdelwahabs, bis im April 1943 britische Truppen die deutsche Besatzung beendeten.
Abdelwahab war, der Beschreibung Satloffs zufolge, ein Lebemann mit einem Blick für schöne Frauen. Nach dem Krieg studierte er Architektur in New York, ging anschließend nach Paris und heiratete später eine südamerikanische Opernsängerin, mit der er eine seiner zwei Töchter zeugte. 1997 starb er im Alter von 86 Jahren.
Satloff, der vorige Woche Jerusalem besuchte, sprach von einer „Verschwörung des Schweigens“ über die arabischen Retter verfolgter Juden. Zum einen hätten die Juden den Holocaust in arabischen Ländern eher vernachlässigt. Zum anderen galt es unter den Arabern nicht unbedingt als ehrenhaft, Juden gerettet zu haben. Deshalb gingen sie mit ihren Geschichten nicht an die Öffentlichkeit. Die meisten der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Nordafrika lebenden Juden überlebten den Holocaust.
SUSANNE KNAUL
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