: Eine Minderheit für Milliarden
Erstmals in der 41-jährigen Geschichte des „Super Bowl“ treten zwei Teams gegeneinander an, die von afroamerikanischen Trainern ins Endspiel der National Football League (NFL) geführt wurden
VON THOMAS WINKLER
Tony Dungy und Lovie Smith haben vieles gemeinsam. Beide sind sie Cheftrainer einer Footballmannschaft, beide gelten sie als ausgesprochen ruhige Vertreter ihrer Zunft, beide stehen mit ihren Teams im Super Bowl, beide sind tief religiös, und eng miteinander befreundet sind sie auch noch. Vieles davon interessiert die amerikanische Öffentlichkeit, denn die Medien haben zwei Wochen Zeit, sie dafür zu interessieren, und reichlich Seiten und Sendezeit zu füllen, bevor die Indianapolis Colts und die Chicago Bears schließlich endlich auf dem Feld ausspielen, wer denn nun die beste Footballmannschaft des Landes ist.
Mehr als alles andere allerdings interessierte die Öffentlichkeit eine weitere Gemeinsamkeit der beiden. Sowohl Colts-Trainer Dungy als auch sein Kontrahent Smith sind beide schwarz. Und damit die ersten Afroamerikaner, die in der nun 41-jährigen Geschichte des Super Bowl ihre Teams ins Endspiel der National Football League (NFL) geführt haben.
Für Phil Taylor, schwarzer Analyst von Amerikas größtem Sport-Magazin Sports Illustrated, ist die Tatsache, dass das bedeutendste Ereignis auf dem US-amerikanischen Sportkalender zum ersten Mal auch an den Seitenlinien bestimmt wird von Afroamerikanern, nicht nur „ein Meilenstein für die NFL“, sondern sogar ein „Meilenstein für die USA, ein Land, das immer noch Probleme damit hat, Vertreter von Minderheiten in Machtpositionen zu platzieren“.
Tatsächlich: Mehr als zwei Drittel aller Spieler in der NFL sind schwarz, aber nur bei 6 von 32 Teams steht ein afroamerikanischer Headcoach auf der Gehaltsliste. Auch im Management sucht man die Minderheit, die auf dem Spielfeld in der Mehrheit ist, meist vergeblich: Nur drei Schwarze leiten als General Manager die sportlichen Geschäfte eines NFL-Teams. Noch düsterer sieht es aus im College-Sport, wo der Nachwuchs für die Profis ausgebildet wird: Von den 119 Universitäten, die in der höchsten Division antreten, haben nur sieben einen schwarzen Cheftrainer.
Die Anwälte Johnnie Cochran Jr., der als Verteidiger von O. J. Simpson Mitte der Neunzigerjahre zu Berühmtheit gelangte, und Cyrus Mehri erstellten eine Studie, die den systematischen Rassismus in der NFL mit Zahlen belegte. Seit dem Start der Liga 1920 bis 2002, dem Jahr in dem die Untersuchung veröffentlicht wurde, wurden 400 Cheftrainer berufen, sechs von ihnen waren Afroamerikaner. Diese wenigen allerdings waren erfolgreicher als ihre weißen Konkurrenten: Schwarze Headcoaches erreichten mit ihren Teams in 67 Prozent die Playoffs, weiße nur zu 39 Prozent.
Die Studie hatte immerhin zur Folge, dass die NFL das Problem nicht länger ignorieren konnte und eine Kommission beauftragte, nach Lösungen zu suchen. Ergebnis war die nach dem Ausschussvorsitzenden Dan Rooney, dem Besitzer der Pittsburgh Steelers, benannte „Rooney Rule“. Danach sind die Teams verpflichtet, bei der Suche nach einem neuen Cheftrainer auch Kandidaten aus Minderheiten zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Detroit Lions waren 2003 die ersten, die gegen die „Rooney Rule“ verstießen. Die fünf schwarzen Headcoach-Kandidaten, die die Lions kontaktierten, hatten allesamt ein Vorstellungsgespräch abgelehnt, weil in der Liga allgemein bekannt war, dass Lions-Präsident Matt Millen sowieso seinen alten Kumpel Steve Mariucci verpflichten wollte. Mariucci bekam den Job und den Lions wurden 200.000 Dollar Strafe aufgebrummt.
Seitdem heucheln NFL-Teams auf der Suche nach einem neuen Trainer zwar stets brav Interesse an afroamerikanischen Anwärtern, aber eingestellt werden doch meist die weißen Mitbewerber. Der Rassismus hat sich mittlerweile besser getarnt. So wird der tief religiöse Dungy eher gelobt für seinen ausgeglichenen Charakter, wie er vor dreizehn Monaten den Tod seines Sohnes verkraftete oder für seine Führungsqualitäten. Unterschlagen wird dagegen gern, dass der 51-Jährige zu den schlauesten Köpfen im Football gehört und mittlerweile fast die ganze Liga „Cover 2“ spielt, die von ihm als für die Defensive zuständiger Assistenztrainer in Minnesota entworfene Verteidigungstaktik. Auch als Mentor hat Dungy großen Erfolg. Vier aktuelle NFL-Headcoaches haben ihr Handwerk als Assistenztrainer bei ihm gelernt, darunter auch sein morgiger Gegenspieler, der 48-jährige Lovie Smith. Seit ihrer gemeinsamen Zeit bei den Tampa Bay Buccaneers sind die beiden befreundet und telefonieren beinahe täglich. So auch am Montag nach den Halbfinalspielen, als feststand, dass die beiden den Super Bowl erreicht hatten, dass sie Geschichte geschrieben hatten. Ob man auch darüber gesprochen hatte, über das Offensichtliche, wollten die Reporter von Dungy wissen. Ja, habe man, sagte er, lächelte zögerlich und wollt sich dann nicht weiter äußern.
Das, und auch die weiteren Äußerungen von Dungy und Smith in den folgenden Tagen, sollten vor allem eins signalisieren: Normalität. Doch die gibt es noch lange nicht. Nicht nur im Management und in den Trainerstäben der reichsten Profi-Liga der Welt sind Minderheiten unterrepräsentiert. Auch die Positionen auf dem Feld sind noch lange nicht paritätisch besetzt. Die überwiegende Mehrheit der Profis ist zwar schwarz, der Quarterback aber, Ballverteiler und zentrale Position in der Offensive, ist immer noch meistens weiß. Schwarzen Nachwuchsspielern, die in der Highschool oder im College erfolgreich Quarterback spielen, wird immer noch bisweilen nahegelegt, die Position zu wechseln, um ihre Chancen auf eine Profi-Karriere zu verbessern. Und noch immer wird hinter vorgehaltener Hand das Vorurteil weitergereicht, Afroamerikaner wären zwar die talentierteren Athleten, aber damit überfordert, die komplexen Spielzüge zu lernen und die mentalen Anforderungen der Quarterback-Position zu erfüllen.
Selbst renommierte schwarze Quarterbacks müssen sich immer wieder rassistisch motivierter Kritik erwehren: Erst vor drei Jahren Jahren griff der berüchtigte TV-Kommentator Rush Limbaugh in die rassistische Mottenkiste. Der damals beim Sportsender ESPN beschäftigte Rechtsaußen behauptete, Donovan McNabb, Quarterback der Philadelphia Eagles und einer der besten seines Fachs, wäre überschätzt, weil die Medien den Erfolg eines schwarzen Quarterbacks herbeischreiben wollten. Immerhin: Limbaugh wurde von ESPN gefeuert und McNabb spielte anschließend seine bis dahin beste Saison.
So virulent ist und vor allem war der Rassismus im Football, dass er selbst schon in die Folklore des Sports eingegangen ist. Vor genau 19 Jahren stand erstmals ein schwarzer Quarterback im Super Bowl. Doug Williams sollte seine Washington Redskins – nach einer Woche ohne Schlaf und einer sechsstündigen Zahnoperation am Tag vor dem großen Spiel – zu einem überlegenen 42:10-Sieg gegen die Denver Broncos führen und anschließend zum herausragenden Akteur des Endspiels gewählt werden. Zuvor aber musste er sich bei einer der unzähligen Pressekonferenzen im Vorfeld des Super Bowl fragen lassen: „Also Doug, wie lange sind Sie schon ein schwarzer Quarterback?“
Diese Anekdote ist zwar mittlerweile als falsch überliefert entlarvt. Doch immer noch, auch dieser Tage wieder, wird sie gerne ausgegraben.
Denn als verbales Mahnmal für den im amerikanischen Sport herrschenden Rassismus hat sie noch lange nicht ausgedient.
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