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Im Dampf der Nudelbuden

Das Filmfestival in Rotterdam ist vor allem dank seiner Liebe zum asiatischen Kino ein internationaler Publikumsmagnet geworden. Dieses Jahr lag ein Hauptaugenmerk auf neuen Filmen aus Malaysia

von SUSANNE MESSMER

Rotterdam? Kinoverrückte kriegen schon bei der Erwähnung ein Leuchten in den Augen. Das Filmfestival in Rotterdam steht für zehn Tage lang brüllvolle Kinos und für gut gelaunte Schlangen an den Kassen. Nach Rotterdam schaffen es nicht nur extrem rare Filme, hier gibt es Jahr für Jahr auch die aufregendsten Talente zu finden, und vor allem fördern die Programmierer in Rotterdam jedes Jahr die reizvollsten Filme aus dem asiatischen Raum zutage.

Wie nicht anders zu erwarten, war denn auch jeder, der Kino aus Asien liebt, rund um die Uhr beschäftigt. In der „Maestros“-Reihe konnte man Weltkino von dem Chinesen Jia Zhangke oder von Apichatpong Weerasethakul aus Thailand nachholen – Filme, die 2006 auf den Festivals liefen, die es aber kaum in die Kinos hierzulande schaffen werden. Es gab zudem ganze acht neue Produktionen aus China, von denen mindestens drei die Runde machen werden. Was aber die größte Überraschung war: Mit fünf wunderbaren Filmen fiel diesmal besonders das Kino aus einem Land ins Auge, das bislang nicht unbedingt als herausragendes Filmland galt. Es galt, das Kino aus Malaysia zu entdecken.

Es ist bislang wenig bekannt über den Film aus diesem kleinen Land, das von kaum mehr Menschen bewohnt wird als Rumänien. Und das hat Gründe: Bis in die Achtzigerjahre basierten Filme aus Malaysia vor allem auf Theaterstücken oder Legenden. Und das offizielle Kino heute hat den Ruf, von schlechten Imitationsversuchen Hollywoods bestimmt zu sein. Da es außerdem ausschließlich malaysische Geschichten erzählen muss, wenn es gefördert werden will, tauchten bislang Chinesen und Inder eher als Nebendarsteller in Form von überzeichneten Geschäftsmännern oder Hausangestellten auf. In einem Land, wo ein Viertel der Bewohner Chinesen sind und immerhin noch 7 Prozent Inder, ist das erstaunlich.

Weniger erstaunlich ist es also, dass es gute fünfzehn Jahre nach dem Beginn der digitalen Revolution im Film nur eine Frage der Zeit war, dass in Malaysia ein kleines, unabhängiges Kino seinen Siegeszug antreten musste. Und wenig wundert es auch, dass es in diesem Kino, obwohl es in Malaysia keine Aussicht auf Förderung hat, trotzdem nicht um Diskriminierung geht, sondern um soziale Wirklichkeiten wie urbane Entfremdung – dass aber trotzdem in diesen Filmen ganz selbstverständlich nicht nur Malaysisch gesprochen wird, sondern auch Mandarin, Kantonesisch, Hokkien und Tamil. Außerdem arbeiten die Filmemacher über ethnische Grenzen hinweg – und überspringen so nonchalant das „Was bist du?“, die erste Frage, die sich in Malaysia immer noch stellt.

So hält es zumindest die Gruppe von jungen Filmemachern, die sich in den letzten fünf Jahren um Amir Muhammad gebildet hat – diesen Produzenten hybrider, satirischer Dokumentaressays. Außer Muhammad, von dem in diesem Jahr wie schon 2006 ein Film auf der Berlinale zu sehen sein wird, waren sie in Rotterdam jedenfalls fast alle vertreten, diese jungen Filmemacher, die sich gegenseitig produzieren, füreinander schreiben und drehen. Und obwohl in keinem ihrer Filme explizit von „Rasse“ die Rede ist, spielen doch drei im chinesischen Milieu, in dem ihre Autoren groß geworden sind.

Zum Beispiel der Film „Love Conquers All“ der 28-jährigen Filmemacherin Tan Chui Mui, der bereits Preise in Pusan abgeräumt hat und sich nun auch noch den Rotterdamer Tiger-Award mit drei Mitstreitern teilen darf. Der Film handelt von einer jungen chinesischen Frau, die nach Kuala Lumpur zieht, um dort in der Nudelbude der Tante zu arbeiten – und zwar in einem Viertel, in dem fast nur Chinesen zu leben scheinen. Schließlich verliebt sich Ah Ping in einen chinesischen Mann, wenn dies auch gar keine Rolle spielt. Wichtiger ist, dass Ah Ping nicht einmal misstrauisch wird, als er ihr erklärt, wie man als Zuhälter arbeitet. Die unaufgeregte Kamera lässt viel Raum zu überdenken, wie sich eine Frau, die kaum dem Klischee der Landpomeranze entspricht, derart vorsätzlich auf das Klischee des Mädchenfängers einlassen kann.

Um das Gefühl der Verlorenheit in der großen Stadt, das man aber auch nicht damit eintauschen mag, in der Provinz abgehängt zu werden, dreht es sich noch in zwei weiteren, großartig melancholischen malaysischen Filmen von Regisseuren chinesischer Herkunft, die in Rotterdam zu sehen waren: In „Rain Dogs“ von Ho Yuhang und „The Elephant and the Sea“ von Woo Ming Jin. Erzählt „Rain Dogs“ die Geschichte eines verträumten jungen Mannes zwischen Abitur und Studium und glänzt mit elliptischen und darum sehr nachhallenden Beobachtungen finsterer Spielhöllen in Kuala Lumpur und öder Dorfstraßen, ist die große Stärke von „The Elephant and the Sea“ das Fehlen jeglicher Sinndeutung.

Yun Ding, ein Junge, der den Anschluss an die Moderne kaum mehr finden wird, lebt davon, alles zu verkaufen, was sich verkaufen lässt. Selbst tote exotische Tiere aus dem Straßengraben – und am Ende sogar seine Freundin. „The Elephant and the Sea“ zeigt die traurigsten Tropen seit langem, er ist von einer mysteriösen Spur des Ekels durchzogen. Hier müssen Menschen in Quarantäne, hier verrecken mehr Fische am Strand als gesund sein kann. Warum, das bleibt ebenso verborgen wie eine finale Erklärung, was diesen Jungen so ruiniert haben könnte.

Ob urbane Entfremdung oder Ekel: Die Filme von Regisseuren wie Ho Yuhang oder Woo Ming Jin hätten den Tiger genauso mit nach Hause nehmen können wie die Gewinnerin. Man muss sogar noch einen draufsetzen. Auch die anderen Filme aus Malaysia hätten es verdient: „Before We Fall in Love Again“ von James Lee, ein erstaunlicher kleiner Schwarzweißfilm über die Liebe, ebenso wie „Dancing Bells“ des indischstämmigen Regisseurs Deepak Kumar Menon, der punktgenau vom Wellblechgetto Kuala Lumpurs erzählt. Dass in diesem Jahr in Rotterdam keiner der Filme aus Malaysia dem anderen nachstand, das ist jedoch kein Manko. Auf dem Filmfestival in Rotterdam war nie wichtig, wer am Ende die Trophäen in die Kamera hält. Hier machte man sich immer vor allem für neue Filmländer stark, Filme, die irgendwann vielleicht die Welt erobern werden.

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