Kein Studentenberg

VON CHRISTIAN FÜLLER

Deutschland gehen in naher Zukunft die guten Leute aus. Das war bereits bekannt. Nun zeigt eine neue Prognose, dass der Mangel an Hochqualifizierten für die Wirtschaft noch drastischer ausfallen wird als angenommen. Ab 2015, also in nicht ganz zehn Jahren, wird es im Westen der Republik „in Teilmärkten zu einem Unterangebot an qualifizierten Fachkräften kommen“, heißt es in einer Studie des Bildungsökonomen Dieter Dohmen. Wenige Jahre später werden zwischen München und Kiel schon 50.000 Masterabsolventen pro Jahr fehlen.

Im Osten der Republik setzt dieser Prozess schon 2011 ein. Ein Drittel der dortigen Akademikerstellen wird dann frei sein. „Ostdeutsche Bildungseinrichtungen und Unternehmen werden dringend auf ‚Westimporte‘ angewiesen sein“, steht in dem Papier des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialkökonomie, das gestern in Berlin vor Experten aus Wirtschaft und Hochschulen vorgestellt wurde.

Der wichtigste Grund für den Akademikeralarm ist die abnehmende Studierneigung. Zahlen etwa des Statistischen Bundesamtes bestätigen, dass seit drei Jahren immer weniger Studienanfänger den Schritt an die Unis wagen. Bisher war die Konferenz der Kultusminister vom Gegenteil ausgegangen. Sie hatte geschätzt, dass es bis zum Jahr 2014 rund 2,7 Millionen Studierende geben werde. „Diesen allseits prognostizierten Studentenberg wird es nicht geben“, widerspricht nun Dieter Dohmen. Er sieht einen Anstieg auf knapp über zwei Millionen – dann geht’s bergab. Warum?

Dafür gibt es verschiedene Gründe wie die offenbar stark abschreckende Wirkung der Studiengebühren. Allerdings wirkt sich auch die Teilung des Studiums in eine Bachelor- und eine Masterphase negativ aus. Die neuen Studiengänge seien teilweise schlecht organisiert und der Übergang ins Masterstudium stark begrenzt (siehe unten). Deswegen kämen weniger Studierende an die Universitäten und Fachhochschulen. Folge dieser Politik der Studentenabschreckung werde ein erheblicher Fachkräftemangel sein, folgert Dieter Dohmen.

Vertreter renommierter Unternehmen bestätigten gestern, dass ihre Belegschaft vor einer Überalterung stehe. Im Jahr 2015 etwa sind die Arbeitskräfte des weltweit operierenden Pharmamittelständlers B. Braun (Melsungen) im Durchschnitt 50 Jahre alt. Beim Energieriesen RWE hat die Hälfte der Beschäftigten schon im Jahr 2013 das halbe Jahrhundert voll. „Wir fragen uns, was passiert, wenn die alle in Ruhestand gehen?“, sagte der Leiter des strategischen Personalmanagements von RWE Energy, Robert Bach.

Die Antworten der Unternehmen sind vielfältig. RWE versucht sich in einem so genannten Altersmanagement. Auch Qualifikationsmanagement steht auf dem Programm, das heißt, man versucht Personalungleichgewichte innerhalb des Konzerns auszugleichen: „Kann man Mitarbeiter von der einen auf eine andere Position im Unternehmen transferieren, also dahin qualifizieren?“, fragt Bach. B. Braun Melsungen, dessen Eigentümer DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun ist, bereitet seine Belegschaft darauf vor, dass sie künftig nicht mehr so einfach gehen kann. „Älteren Mitarbeitern aufzeigen, dass sie gebraucht werden“, sei Gebot der Stunde, mehr noch: dass sie sich beständig weiterbilden – und nicht etwa „mit 45 Jahren in den Sinkflug Richtung Rente gehen“, so Bach.

Manche Firmen haben bereits jetzt große Probleme, ihr höheres Management aufzufrischen – gerade wenn sie in der Provinz liegen. Die HUK Coburg etwa, ein Versicherer aus Oberfranken, setzt auf Verhandlungen mit der Staatsregierung, um die Einheimischen bestens auszubilden. „Wenn wir für Schlüsselpositionen jemanden aus der Ferne anwerben“, so Personalchef Klaus Schröter, „kann es passieren, dass der auf der B 303 vor Coburg noch mal Gas gibt und lieber weiterfährt.“