: Sprachrohr des Geistes
Die New Yorker Zeitschrift „The Nation“ steht seit 142 Jahren für kritischen Journalismus. Heute schreiben dort Naomi Klein und Michael Moore: In der Ära Bush jr. ist das Blatt wichtiger denn je
VON NANCY DU PLESSIS
Ende Januar demonstrierten in Washington eine halbe Million Menschen gegen Bushs Irakpolitik, zwei Tage später gab es etwa 700 Gesprächstermine bei Abgeordneten: Ohne das Engagement der Zeitschrift The Nation wäre all dies kaum denkbar gewesen.
Im letzten Moment hatte The Nation noch eine E-Mail verschickt, die nicht nur Informationen zu den Hauptthemen und Rednern der Kundgebung enthielt, sondern auch nützliche Links zur Anreise und Unterkunft: Die Zeitschrift hat nicht nur über den „Congressional Lobby Day“ berichtet, sondern auch dessen Gestaltung wesentlich gefördert.
Nach Bushs „Rede zur Nation“ am 10. Januar hatte The Nation in einem Leitartikel streng gefragt, „ob ein einziger Mann eine ganze Nation zu einem Krieg, den sie nicht führen will, zwingen kann … Und falls er dies kann – ist diese Nation dann noch eine Demokratie?“ Die älteste Wochenzeitschrift der USA erscheint nun schon seit fast 142 Jahren und ist längst ein fester Bestandteil der amerikanischen Demokratie. Die linksliberale Publikation aus New York hat sich in den vergangenen Jahren, in denen der amerikanische mediale Mainstream vor dem Irakkrieg einknickt ist, ihre Antikriegshaltung bewahrt – und wurde dafür belohnt: Seit Beginn der Ära George W. Bush hat The Nation nicht nur ihre Leserzahl um 70 Prozent auf fast 187.000 erhöht, sie konnte jüngst sogar einen Gewinn verbuchen.
Zu den Autoren der Nation zählen große Namen wie: Thomas Mann, Jean-Paul Sartre, Eleanor Roosevelt, Pablo Neruda, Martin Luther King jr., Hannah Arendt und Federico García Lorca. Es war The Nation, die den afroamerikanischen Autor James Baldwin und den mehrfachen alternativen Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader erstmalig publizierte. Literarische Werke von Henry James, Langston Hughes und Sylvia Plath waren in The Nation zu lesen. Heute trägt die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein regelmäßig eine Kolumne bei, Filmemacher Michael Moore wirkt als Redakteur mit – sein Artikel über fehlende Verbindungen zwischen fortschrittlichen Intellektuellen und Arbeitern zog eine lebhafte Leserdebatte nach sich.
„The Nation ist ein Anliegen und kein Geschäft“, sagt der langjährige Chefredakteur (und spätere Herausgeber) Victor Navasky, der Ende 2005 nach 27 Jahren die Leitung an Katrina vanden Heuvel abgab. Auch sie tritt vehement für Meinungsfreiheit, kritische Debatten, fundierte Informationen und profunde Analysen ein. The Nation gehört niemandem: Die Zeitschrift finanziert sich hauptsächlich durch Abonnements und Spenden, auch der Schauspieler Paul Newman ist ein bedeutender Sponsor.
Es begann im Jahr 1865 – in der Zeit, in der Margaret Mitchell „Vom Winde verweht“ schrieb und die farbigen Sklaven zu „free men“ wurden. Damals gründete eine Gruppe von Abolitionisten (Gegnern der Sklaverei) The Nation. Die Zeitschrift sollte „Sprachrohr keiner Partei, Religionsgemeinschaft oder Körperschaft sein …,[sondern] einen wirklich kritischen Geist in die Diskussion politischer und sozialer Fragen hineintragen“.
Um diesem Anspruch zu genügen, hat The Nation 1905 die Gründung der NAACP (Nationale Vereinigung zur Beförderung farbiger Menschen) unterstützt. Ab 1918 setzte sich die Zeitschrift vehement für die Aufdeckung des Unrechts seitens der US-Besatzung in Haiti ein, was schließlich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Folge hatte. Bis heute bezieht die Zeitschrift gegen den US-Imperialismus in Lateinamerika Stellung. The Nation hat für Freiheit auf den Philippinen und für die Selbstbestimmung der Iren plädiert. Zu Zeiten des Kalten Krieges wendete sie sich immer wieder gegen eine Verhärtung der Fronten – und musste sich 1981 von Susan Sontag Opportunismus in der Bewertung sowjetischer Politik vorwerfen lassen.
Über die Jahre vertraten die Redaktionen der Nation durchaus unterschiedliche Visionen, doch die Meinungsfreiheit galt stets als oberstes Prinzip der Redaktion. Im Vordergrund standen stets die progressiven Denkanstöße. Bis heute sind die rund vierzig Seiten jeder Ausgabe auf billigem Zeitungspapier gedruckt, mit Zeichnungen und erst seit 2006 auch mit Fotos – anlässlich einer Sonderserie über Fotojournalismus.
Unter der klugen Regie von Katrina vanden Heuvel, der heutigen Chefredakteurin und Herausgeberin, entstand unter anderem der „Notion Blog“ (notion: Idee). Die Nation ist stolz darauf, dass viele ihrer Leser sich leidenschaftlich in das politische Leben einmischen, und bietet ihnen diverse Plattformen: das gemeinnützige Nations Institute, den Nations Books Verlag, das Radioprogramm RadioNation. Ein multimedial-politischer Kosmos, den man sich über den Zugang www.thenation.com problemlos erschließen kann und der über die nationalen Grenzen der USA hinaus wirkmächtig ist.
Die beharrliche Unabhängigkeit der Nation trug dazu bei, dass 1998 das deutsch-amerikanische Autorenteam Hersch Fischler und John Friedman den Artikel „Bertelsmann’s Nazi Past“ veröffentlichen konnte – in der Bundesrepublik hatte der Konzern damals versucht, eine Berichterstattung zu verhindern. Erst die Offenlegung in New York (und in der Schweizer Wochenzeitung) eröffnete eine Berichterstattung auch in Deutschland.
Sich in einer so konservativen und durch Konzerne dominierten Medienlandschaft wie in den USA durchzusetzen und sogar neue Leser zu gewinnen, bedeutet für das engagierte Journal einen unablässigen Kampf.
Ein Kampf, der sich lohnt, besonders in der Ära Bush jr. So merken Mitarbeiter der Nation gerne ironisch an: „Was schlecht ist für das Land, ist gut für The Nation.“
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