: Sperrzone in den eigenen vier Wänden
Im sächsischen Löbau ermöglicht die Wohnungsverwaltung Arbeitslosengeld-II-Empfängern einen Verbleib in ihrer offiziell zu großen Wohnung: Sie sperrt Zimmer und senkt die Miete. Linkspartei und Wohnungsverband kritisieren dieses Vorgehen
VON BARBARA BOLLWAHN
Pragmatisch, berechnend oder absurd? Die Wohnungsverwaltung und Bau GmbH (Wobau) im sächsischen Löbau ist auf folgende Idee gekommen, um Arbeitslosengeld-II-Empfängern einen Zwangsumzug zu ersparen: Wenn der sogenannte Regelquadratmetersatz überschritten ist, schließt die Verwaltung ein Zimmer der Wohnung ab und reduziert die Miete. Die Mieter dürfen fortan den Raum, den sie vorher leer geräumt haben müssen, nicht mehr nutzen. Die Einhaltung dieser Sperrzone in den eigenen vier Wänden garantiert ihnen das bisherige Dach über dem Kopf – nur eine Nummer kleiner.
„Das ist aus der Not heraus geboren“, verteidigt Andrea Sänger von der Geschäftsführung der Wohnungsverwaltung diese Regelung. Zur Einführung des Arbeitslosengelds II vor zwei Jahren hätten sich viele Betroffene mit einem Wohnungsmarkt konfrontiert gesehen, auf dem es nicht genug kleinere und billigere Unterkünfte gibt. „Mieter, denen das Amt gesagt hat, dass ihre Wohnung zu groß ist, sind auf uns zugekommen.“ Seitdem wurden etwa 100 Zimmer gesperrt und im Gegenzug die Miete gesenkt, im Schnitt um 50 Euro.
Betroffen sind vorwiegend Dreiraumwohnungen in Plattenbauten. „Die Tendenz ist steigend“, sagt Andrea Sänger. Vorteile dieser Regelung sieht sie auf beiden Seiten: Den Arbeitslosen werde ein Wegzug aus der gewohnten Umgebung erspart. „Es ist von ihnen gewollt“, betont sie. Die Wohnungsverwaltung nehme zwar weniger Miete ein, vermeide auf diese Art aber weiteren Leerstand. „Das ist rentabler“, sagt Sänger.
Der sächsische Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e. V., dem 144 Wohnungsunternehmen angehören, auch die Wobau, ist überhaupt nicht gut auf die Löbauer zu sprechen. „Das ist sehr umstritten, und wir sehen das mit Sorge“, sagt Peter Rösler vom Verband, der 17 Prozent aller Wohnungen in Sachsen verwaltet. „Wir treiben niemanden unter die Brücke“, so Rösler weiter, „aber es kann nicht sein, dass die Wohnungswirtschaft Sozialeinrichtungen subventioniert.“ Die Löbauer Regelung könne nur „eine kurzfristige Lösung“ sein, „wenn alle das mittragen“. Die zuständigen Ämter hätten den vor Ort verfügbaren Wohnraum zu bezahlen.
Wohnungsbaugesellschaften in Halle, Dessau und Magdeburg jedoch praktizieren ein ähnliches Verfahren wie in Löbau. Der Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), hält das Modell „für einen denkbaren Weg“. Kritik kommt von der Linkspartei. Die sozialpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Birke Bull, kritisiert die Wohnraumsperrung als „Diskriminierung“ von Langzeitarbeitslosen. Die Einsparung von Umzugskosten und die Sicherung der Mietzahlungen ginge „auf Kosten der Menschenwürde und Selbstbestimmung“. In Arbeitslosenforen ist im Zusammenhang mit Löbau die Rede von „regelmäßigen Kontrollen“ und „Räumkommandos“. Andrea Sänger von der Wohnungsverwaltung betont, dass dem nicht so sei. „Es gibt sporadische Kontrollen, wenn ein Mitarbeiter ohnehin vor Ort ist.“
Werde dabei eine Nutzung des gesperrten Raumes festgestellt, gebe es eine Ermahnung. Und: „Wer lüften will, kann rein.“ Verstöße und Sanktionen habe es bisher nicht gegeben. „Die Regelung ist von den Mietern gewollt, und ein Verstoß würde ihnen auf die Füße fallen.“ Die Wohnungsverwaltung will trotz aller Kritik an ihrer Praxis festhalten. Andrea Sänger nennt den Grund: „Es ist eine Vernunftentscheidung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen