: Allerlei Machtspielchen
Der Wettbewerbsfilm „Tagebuch eines Skandals“ lotet gekonnt die Dynamiken von Anziehung und Abstoßung aus. Neben Cate Blanchett brilliert vor allem Judi Dench mit ihrem Mut zur Hässlichkeit
VON BARBARA SCHWEIZERHOF
Der Skandal ist folgender: Die Kunstlehrerin Sheba (Cate Blanchett) geht eine Affäre mit einem 15-jährigen Schüler ein. Man sieht ihn als forsches Bürschchen, das seine Verführungskünste mit pubertärem Stolz an einer erwachsenen Frau ausprobiert. Und man sieht eine Lehrerin, die zunächst verführt wird vom Lerneifer eines Unterschichten-Kindes, sich dann vom durchaus männlichen Interesse dieses Kindes geschmeichelt fühlt und schließlich willentlich die Augen verschließt, um berauscht von der eigenen Sorglosigkeit die Grenzüberschreitung zu genießen.
Ohne Empörung beim Zuschauer zu schüren und auch ohne delikate Erörterung sexueller Details, behält der Film die Dynamik der Machtverhältnisse dieser ungleichen Liaison im Auge: Die Rollen von Verführer und Verführter, von Täter und Opfer wechseln beständig. Zu Beginn erscheint die Frau zwar als leichte Beute für Komplimente, hat aber noch die Macht der Zurückweisung auf ihrer Seite liegt. Von dieser Souveränität büßt sie allerdings nach und nach ein.
Die Raffinesse des Films, basierend auf der Romanvorlage der britischen Schriftstellerin Zoë Heller, besteht nun darin, dass der Skandal lediglich den Hintergrund bildet für eine andere Geschichte, die in gewisser Weise ebenso skandalös ist, aber am Ende nicht mit dem Strafgesetzbuch bewertet werden kann. Dabei ist das Machtspielchen, das sich hier ereignet, fast noch monströser: Judi Dench verkörpert Barbara Covett, eine ältere Lehrerin, die, im allerdirektesten Sinn dieses Ausdrucks, ein Auge auf die neu an die Schule gekommene Kollegin geworfen hat. Im Unterschied zum Buch kennzeichnet der Film Barbaras Begehren eindeutig als lesbisch, was aber nur scheinbar dabei hilft, ihre Figur einzuordnen. Der Film beginnt mit ihr auf einer Parkbank und ihrer Stimme aus dem Off. Sie stellt sich als bloße Beobachterin, als unscheinbare Nebenfigur des „Skandals“ vor, aber schleichend wird sie zur Heldin der Geschichte. Deswegen hat Judi Dench hierfür auch eine Oscar-Nominierung für die beste Hauptrolle bekommen und Cate Blanchett „nur“ die als Nebendarstellerin.
Belohnt werden müsste Judi Dench allein schon für ihren Mut zur Hässlichkeit: Wohl noch nie sah die stets überaus elegante 72-Jährige derartig schrecklich aus. Mit hängenden Tränensäcken unter den Augen und dünnen Haaren, die den ungefärbten Ansatz wie absichtlich entblößen, trägt sie ein Unglück zur Schau, vor dem selbst der Zuschauer innerlich zurückschreckt. Gleichzeitig aber sind da ihre scharfzüngigen Beobachtungen, und die ziehen einen immer wieder auf ihre Seite. Trickreich erschleicht sie sich auch die Freundschaft zu Sheba, die als Frau eines Uniprofessors einem ganz anderen Milieu angehört – und klassifiziert gerade das, was Sheba so anziehend macht, als Merkmal eines bestimmten Milieus. Zum Beispiel die Leichtigkeit, mit der sie mit einer neuen Bekanntschaft intime Details aus dem eigenen Eheleben erörtert. Typisch für die höheren Schichten, weiß Barbara, und lässt sich doch begierig darauf ein.
Der Zuschauer sieht sich zwischen Anziehung und Abstoßung für diese Figur hin- und hergerissen. Und während er nicht ohne Häme über Barbaras gnadenlos realistische Einschätzungen lacht, ergreift ihn der Schrecken angesichts ihrer fast psychotischen Bedürftigkeit und der Kaltschnäuzigkeit, mit der sie schließlich den Skandal für sich zu nutzen versucht.
„Notes On A Scandal“. R.: Richard Eyre. D.: Judi Dench, Cate Blanchett, Bill Nighy, Andrew Simpson; USA/Großbritannien 2006, 92 Min.; heute, 15 Uhr, Urania, 22.30 Uhr, International
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