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Dumpf brummt’s im Bus

Mit großem Ernst die Details beachtet: Ariel Rotters „El Otro“ (Wettbewerb) ist die melancholische Geschichte eines äußerst wandlungsfähigen Geschäftsreisenden

Der argentinische Wettbewerbsbeitrag „El Otro“ von Ariel Rotter ist ein sehr schöner, atmosphärisch dichter Film. In seinem zweiten Spielfilm – sein Debüt „Solo per hoy“ wurde 2001 im Panorama präsentiert – konzentriert sich der Regisseur auf die Hauptfigur Juan Desouza (Julio Chávez). Der ist ein so zurückhaltender wie melancholisch-viriler Mann Mitte 40 an einem Wendepunkt seines Lebens.

Er pflegt seinen kranken Vater, der wohl bald sterben wird, während seine Frau mit geschlossenen Augen im Bett liegt. Es ist unklar, ob sie schwanger ist oder schwer krank. Desouza begibt sich dann auf eine Dienstreise. Bei einer Rast stellt er fest, dass sein Nebenmann, der eben noch so enervierende Geräusche gemacht hatte, tot ist. Unter verschiedenen falschen Namen, Berufen und Identitäten, die er ausprobiert, quartiert sich der Held daraufhin immer wieder in kleinen Hotels ein.

In einer Zeitung liest er, dass ein Mann, dessen Namen er verwendet, gestorben ist. Er geht zu dessen Aufbahrung, registriert die weißen Socken des Toten und eine absurde Narbe an der Hand einer Frau. Er trinkt in einer Bar und folgt eine Weile einer anderen Frau. Ziellos wandert er am Rand einer vielbefahrenen Straße und fühlt sich verfolgt. Er erwacht in einem Wäldchen und beobachtet Mädchen, die in einem See baden. Im Hotel hat er Sex mit noch einer anderen Frau, vielleicht der Witwe des Toten, dessen Namen er benutzte. In der Nähe des Todes entsteht sexuelles Begehren als wortkarges Aufbegehren des Lebens gegen den Tod. Am Ende kehrt Desouza zurück und badet seinen Vater mit großer Sorgfalt, wie in der Eingangsszene des Films.

„El Otro“ ist wunderbar stimmig und nicht nur in der Hauptrolle mit Julio Chávez, der schon im letztjährigen argentinischen Wettbewerbsfilm „El Custio“ von Rodrigo Moreno zu überzeugen wusste, perfekt besetzt. Beeindruckend sind vor allem die Nachtszenen, in denen oft nur ein sehr kleiner Bildteil tatsächlich deutlich ist, sowie die äußerst präzise Tonspur, die keine Musik nötig hat und auf jede Effekthascherei verzichtet. Sie lässt den Zuschauer irgendwie dumpf brummend das kopfschmerznahe Dösen im Bus empfinden und macht bei der nächtlichen Wanderung am Straßenrand mit lauten Lastern das Gefühl der Bedrohung spürbar. Erleichternd dann aber wieder die Naturgeräusche und die Stimmen junger Mädchen im Wasser. Nach diesem Film, dessen Titel auf den berühmten Roman von Albert Camus anzuspielen scheint, fühlt man sich ernster und lebendiger als zuvor.

DETLEF KUHLBRODT

„El Otro“. R.: Ariel Rotter, D.: Julio Chávez, Osvaldo Bonet, Maria Oneto. Argentinien/Frankreich/Deutschland 2007, 83 Min.; heute, 9.30 und 18.30 Uhr, Urania, 22.30 Uhr, International

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