Wittener Studierende planen sanften Putsch

Studierende, Mitarbeiter und Professoren wollen die Leitung der Privatuni Witten/Herdecke übernehmen. Konfrontationskurs zum Präsidenten, weil die Grundwerte bedroht sind

Studierende und ProfessorInnen der ersten Privatuniversität Deutschlands wollen die Hochschulleitung durch einen neuen Verein übernehmen. Sie sehen die Grundwerte ihrer alternativen Universität in Gefahr, weil der Präsident einen Gesundheitskonzern an der Hochschule beteiligen will. Wenn über 50 Prozent aller Studierenden und Beschäftigten in den neuen Verein eintreten „werden wir ein Übernahmeangebot an die Gesellschafter richten“. Das sagte der Student Patrick Hypscher aus dem Vorstand des seit Sonntag bestehenden Vereins Verantwortungsgemeinschaft Freie UWH der taz.

Präsident Wolfgang Glatthaar, der bei diesem Manöver wohl gestürzt würde, war gestern nicht erreichbar. Er ließ aber über Hochschulsprecher Dirk Hans ausrichten, er halte den Verein für eine „interessante Idee“. Zwar sei die Entmachtung des Präsidiums eine „mögliche Konsequenz“, bestätigte der Sprecher, „aber wer sagt, dass der Präsident nicht bei einer Neuwahl wiedergewählt wird“. Patrick Hypscher erklärte an, der Verein wolle im Fall einer Übernahme „Entsandte in das Direktorium wählen“, um die Arbeit des Präsidiums zu beaufsichtigen. An der Gründungsversammlung nahmen laut Hypscher 300 Hochschulmitglieder teil. Interesse komme aus allen Gruppen der Uni.

Damit bestätigen sich die Unstimmigkeiten über die Ausrichtung der Privatuni, derentwegen schon zwei Führungspersonen die Hochschule verlassen haben. Nach Gründungspräsident Konrad Schily im November 2006 hat vergangene Woche der wissenschaftliche Geschäftsführer der Uni, Matthias Schrappe, abgedankt. Mit „erheblichen Differenzen mit dem Präsidium“ begründete Schrappe den Rückzug. Schilys Motivation: „Ich sehe die bisherigen Werte der Uni nicht allein durch betriebswirtschaftliche Führung gewährleistet.“

Das Ziel der Hochschulgemeinschaft in dem Richtungsstreit „ist die Rückbesinnung auf die Ziele und Ideale der UWH“, sagt Patrick Hypscher. Zu diesen Grundwerten gehören etwa die Beteiligung aller Betroffenen an den Entscheidungen der Hochschulleitung und die freie Trägerschaft der Uni. „Es gibt die Befürchtung, dass diese Grundlagen in Vergessenheit geraten sind“, so Hypscher, weshalb die Hochschulgemeinschaft Eigentümer der Uni werden solle. Der ausgeschiedene Gründungspräsident Konrad Schily findet den Vorstoß richtig. Das zeige die hohe Identifikation der engagierten Studierenden mit ihrer Hochschule. „Ich bin sicher, dass die Studierenden die 50 Prozent erreichen“, sagte Schily der taz.

Universitätssprecher Dirk Hans kann die Angst „vor einer möglichen Neuausrichtung“ verstehen. Schließlich befinde sich die Uni Witten in finanzieller Not. Jährlich bleibt der Hochschule ein Defizit von 6 Millionen Euro, weshalb Präsident Glatthaar nach solventen Partnern sucht. Derzeit ist die SRH-Holding aus Heidelberg im Gespräch, die bereits mehrere Privathochschulen betreibt und über einen Einstieg nachdenkt.

Das sei zwar nicht der wesentliche Grund für die Vereinsgründung, „es gibt aber die Befürchtung, dass ein Unternehmen wie SRH zu viel Einfluss ausübt“, sagt Dozentin Katrin Peters, die im Aufsichtsrat des Vereins sitzt.

Mit ihrem überraschenden Vorstoß wollen sich die Studierenden den Einfluss erhalten, der ihnen laut Präambel der Universität zusteht. Bislang beschränkt sich die Beteiligung der Studierenden im Wesentlichen auf die Beteiligung im Senat, der die akademische Entwicklung der Hochschule steuert. Seit 1995 – auch damals war die Hochschule in akuter Finanznot – beteiligen sich die Studierenden mit Gebühren an der Finanzierung. Sie haben zu diesem Zweck eine Studierendengesellschaft gegründet. Die verwaltet den sogenannten umgekehrten Generationenvertrag. AbsolventInnen der Uni zahlen, je nach Höhe ihres laufenden Einkommens, Beiträge für die heutigen Studierenden ein. Erst im Jahr 2005 wurde der Beitrag erhöht. Damit haben die Studierenden den Weiterbetrieb der Universität Witten/Herdecke ermöglicht. Nun fordern sie ihren Teil von der Chefetage.

MORITZ SCHRÖDER