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Ich werde einmal Kosmonaut

Die Dokumentation „El telón de azúcar“ im Forum rekonstruiert Kindheiten im Kuba der 70er und 80er Jahre

Nach fast 20 Jahren des Aufschwungs stürzte Kuba zu Beginn der 90er in eine Krise, von der sich das Land bislang nicht wieder erholt hat. Die kubanische Filmemacherin Camila Guzmán Urzúa hat einen Dokumentarfilm über die Generation gedreht, die von den plötzlichen Veränderungen am stärksten betroffen war: die heute Dreißig- bis Vierzigjährigen. In der kurzen Blütezeit wirtschaftlicher und kultureller Prosperität aufgewachsen, gelingt es vielen von ihnen nicht, ihre sorgenfreie Kindheit mit den bedrückenden Verhältnissen im heutigen Kuba in Einklang zu bringen.

Die 1971 geborene Regisseurin hat in „El telón de azúcar“ die Kindheitserinnerungen ihrer Altersgenossen zusammengetragen und mit einer Menge Archivmaterial angereichert. Ihr Blick ist fest auf die Vergangenheit gerichtet, das heutige Kuba nur Kulisse. „Wir lebten wie die alten Griechen: einfach essen, Großes denken“, beschreibt ein Mann sein damaliges Lebensgefühl. Eine Frau schwärmt von „der traumhaften Zeit“ in den Pioniercamps. Die Filmemacherin selbst beschwört aus dem Off eine Ära herauf, in der „wir uns alle gleich fühlten und weder Arbeitslosigkeit noch Religion existierten“.

Ähnlich enthusiastisch äußern sich die meisten der Interviewten über eine Zeit, in der beinahe jeder daran glaubte, irgendwann einmal Arzt, Künstler oder Kosmonaut zu sein. Aufgrund dieser Beschreibungen – nur ein Langhaariger im Metal-Shirt stört die idyllische Rückschau, als er seinen damaligen Alltag mit Chaplins „Modern Times“ vergleicht – ahnt man irgendwann, dass die starke Diskrepanz zwischen Kindheitsträumen und Ist-Zustand vielleicht gar nichts genuin Kubaspezifisches ist, sondern im Grunde nur die typische Sicht von Erwachsenen auf die eigene Kindheit.

Abgesehen von fragmentarischen Einblicken erfährt man nur wenig über die Protagonisten des Films. Denn die Regisseurin hat ihren Blick fokussiert, auf einen eng umgrenzten Zeitraum gerichtet und Biografisches weitgehend ausgespart. Das ist aber nur folgerichtig. Schließlich geht es hier auch nicht so sehr um Einzelschicksale, sondern vielmehr darum, die Erinnerung an eine ganz besondere Zeit vor der Vergessenheit zu bewahren. ANDREAS RESCH

„El telón de azúcar“. R: Camila Guzmán Urzúa. Kuba/Sp/Fr 2006, 82 Min. Heute, 12.30 Uhr, Cinestar; 18. 2., 15.15 Uhr, Arsenal, 21.45, Delphi

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