press-schlag: Kernig und moralinsauer
Dieter Hoeneß gebart sich wie ein enttäuschter Liebhaber, seit Hertha-Zögling Ashkan Dejagah in Wolfsburg angeheuert hat
Es war ein Überraschungsangriff, gegen den sich die Berliner nicht mehr wehren konnten. Mitte der Woche musste Hertha-Manager Dieter Hoeneß über eine Agenturmeldung erfahren, dass sein Spieler Ashkan Dejagah zum VfL Wolfsburg wechseln wird. Hoeneß versuchte zwar sofort, Dejagah noch einmal umzustimmen, gehört doch der U-21 Nationalspieler zu den hoffnungsvollsten Talenten im deutschen Fußball. Aber es war zu spät.
Tags darauf warteten die Journalisten gespannt darauf, wie Hoeneß auf den Wolfsburger Coup reagieren würde. Nun, zum einen redete er, wie es unter Kriegsparteien üblich ist, den Schaden auf der eigenen Seite möglichst klein. Er wollte ja Hertha nicht zum Gespött der Liga machen. Die schönen Visionen, die man einst mit dem Namen von Dejagah verband, waren schnell vergessen. Stattdessen zählte Hoeneß knallharte Fakten auf: „Ein Tor, eine Vorlage, Kicker-Durchschnittsnote vier. Wir sprechen hier nicht über einen Spieler, der zehn Weltklassespiele gemacht hat.“
Hoeneß hatte aber zum anderen auch nicht im Sinn, die Geschichte zu bagatellisieren. „Das ist eine Niederlage für den Fußball, nicht für uns persönlich“, so lautete sein kerniges und moralschweres Urteil. Solch einen Vorgang hätte er in den letzten zehn Jahren nicht erlebt. Wie ein gestrenger Pastor unterschied er rasch zwischen gut und böse. Böse waren der Vater von Dejagah, der Spielerberater Jörg Neubauer und der VfL Wolfsburg. Die beiden Ersteren, ließ Hoeneß wissen, hätten wohl nur ans Geld und nicht an die sportliche Perspektive von Dejagah gedacht. Den Wolfsburgern wiederum warf er vor, den Zwanzigjährigen mit dem begehrten Geld auch noch zugeschüttet zu haben. Gut war nur die Hertha, die seinem Profi laut Hoeneß ein „exzellentes Angebot“ unterbreitet hatte, das sich am Maßstab der Vernunft und nicht der Machbarkeit orientierte. Dem Vernehmen nach boten ihm die Berliner 450.000 Euro im Jahr, die Niedersachsen fast doppelt so viel.
Und Dejagah selbst? Hoeneß bezeichnete ihn als „Opfer“, das nicht „Herr seiner Entscheidung“ sei. Daran gemessen hat ihn Hertha nun knüppelhart bestraft. Dejagah wurde bis zum Vertragsende aus dem Profikader verbannt. Bereits am Donnerstag musste er dem Amateurteam des Vereins nach Wuppertal nachreisen.
Solch eine Reaktion ist alles andere als branchenüblich. Bei Hertha ist man sauer. Der Verein hat in den letzten Jahren gute Jugendarbeit geleistet. Bislang bestimmte die Klubführung stets selbst über das Schicksal seiner Zöglinge. Man ließ Spieler wie Thorben Marx (VfL Bochum) und Oliver Schröder (Arminia Bielefeld) ziehen, weil man ihr Potenzial für zu bescheiden hielt. Alexander Madlung (VfL Wolfsburg) dagegen wurde verkauft, weil man an seiner charakterlichen Standfestigkeit zweifelte. Das Gefühl des Verlassenwerdens hat der Verein nun durch Dejagah kennengelernt. Und so reagierte man maßlos wie ein sitzengelassener Liebhaber, der sich für unwiderstehlich hält.
Es drängt sich allerdings die Frage auf, warum Hertha erst vor drei Monaten die Verhandlungen über Dejagahs Vertragsverlängerung eröffnete. Zu der Zeit begann nämlich gerade dessen Marktwert zu steigen, weil Dejagah erstmals von Anfang an im Profiteam spielte und erfolgreich Yildiray Bastürk im Mittelfeld vertrat. Im Sommer fehlte bei Hertha scheinbar noch das Vertrauen und das Gespür, das Talent vorzeitig an den Verein zu binden.
Dass nun Wolfsburg Dejagah verpflichtet hat, ist für Hoeneß doppelt bitter. Hertha blickt im Geiste nämlich stets nach oben und wird nun durch die Kaufkraft von unten bedroht. „Wenn er zu einem Spitzenverein gewechselt wäre, hätte ich das ja noch verstanden“, grummelte Hoeneß. Aber Wolfsburg? Vielleicht wird Hertha bald sehen, was aus ihr hätte werden können. Nach Madlung und Marcelinho ist Dejagah nun schon der dritte, der von Berlin nach Niedersachsen abwandert. JOHANNES KOPP
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