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Erschöpft nach langer Wanderung

Die Länder verabschieden die Gesundheitsreform – mit wenig Begeisterung. Erste Teile treten damit zum 1. April in Kraft. Entscheidende Neuerungen kommen erst 2009

BERLIN taz ■ Auf den letzten Metern einer Wanderung ist man meistens froh, endlich anzukommen. Doch manchmal, wenn der Weg sehr hart war, sich aber das Ziel als weniger schön entpuppt als gedacht – da können die letzten Schritte zur quälenden Pflicht werden.

So ist das auch bei der Gesundheitsreform. Nachdem der Bundestag vor zwei Wochen das Gesetz mit einigem Murren verabschiedete, waren gestern die Länder dran. Elf Bundesländer stimmten zu, Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen enthielten sich – mit Ausnahme von Sachsen aufgrund ihrer Koalitionspartner.

Begeisterung auf den letzten Metern? Die sieht anders aus. „Unter den obwaltenden Umständen ist die Reform ein gelungenes Werk“, sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) gestern im Bundesrat. Und, mit Blick auf monatelangen Zwist mit der Union: „Man kann immer nur mit den Mädchen tanzen, die gerade auf der Kirchweih sind.“

Auch der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hielt sich mit Begeisterung zurück. „Jeder musste Abstriche machen“, sagte er. Bayern könne aber nach einigen „Verbesserungen“ der Reform jetzt zustimmen. Doch so wie er das Wort dahinnuschelte, könnte er auch „Verwässerungen“ gesagt haben.

Wir erinnern uns: Bayern hatte erreicht, dass sich Privatversicherungen weiterhin nicht an den Krankheitskosten der Mehrheit beteiligen müssen, wie es die SPD wollte. Zudem drangen die Bayern darauf, dass aus den reicheren Ländern nicht mehr als 100 Millionen Euro zusätzlich in den erst noch zu schaffenden Gesundheitsfonds fließen. Einen „Schritt in Richtung Staatsmedizin“ habe man verhindern können, sagte Stoiber gestern.

Nachdem die Gesundheitsreform den Bundesrat passiert hat, treten erste, kleinere Teile bereits zum 1. April in Kraft. Gesetzlich Versicherte haben von da an die Wahl zwischen einer Vielzahl neuer Tarife, darunter solchen mit Selbstbehalt. Hier bezahlen die Versicherten die Kosten bis zu 600 Euro im Jahr alleine und erhalten dafür eine Prämie. Außerdem können etwa 200.000 Nichtversicherte noch in diesem Jahr wieder in eine gesetzliche Kasse ihrer Wahl eintreten.

Die wesentlichen Teile der Reform kommen allerdings erst 2009, darunter der Gesundheitsfonds. Mit ihm sollen die Beiträge zwischen den Krankenkassen neu verteilt und der Wettbewerb unter ihnen angeregt werden. Die Reform der Ärztehonorare wird vermutlich erst 2011 abgeschlossen sein.

Unklar ist bisher auch noch, woher die beschlossenen Steuerzuschüsse zur Krankenversicherung kommen sollen. Diese sollen in den kommenden Jahren schrittweise auf 14 Milliarden Euro steigen. „Da haben wir gepfiffen, und am Ende werden wir sehen, dass uns die Luft ausgeht“, warnte Beck vor Finanzierungsproblemen.

Nach der Reform, das ist wohl vor der Reform. Oder, in den Worten des sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU): „Wir sind nicht am Ende eines langen Marsches. Wir sind erst am Ende einer Etappe. Der Marsch wird weitergehen.“ WOLF SCHMIDT

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