piwik no script img

rösingers revueLinks, Mira, jetzt links!

Nun ist es also bald vorbei. Schade, aber irgendwie auch gut so. Eigentlich war doch ab Mittwochabend schon die Luft raus, und ab Donnerstag gab man sich allgemein der Prä-Postberlinaledepression hin. Der Regen triefte, die Pfützen wurden ständig größer und im Kino stank es zunehmend nach nasser Jacke. Jede Hobbymeteorologin und jeder Biowetter-Interessierte weiß ja, dass ein Winterhoch mit wirklich kalter Luft für die Stimmung viel besser ist, als so ein regnerisches Tief bei Temperaturen um 4 Grad plus. Aber was will man machen? Der Weltpresse zufolge hat Dieter Kosslick vorgeschlagen, nächstes Jahr den roten Teppich mit Glas zu überdachen, damit die Stars nicht so nass werden und so frieren müssen in ihren dünnen Kleidern. Die haben Probleme!

Man selbst quält sich mit ganz anderen Fragen: Hat man alles richtig gemacht, genug Filme gesehen? Hätte man doch mal den Potsdamer Platz verlassen müssen, um zu schauen, was am Zoo oder am Cubix so geht?

Aber wie hieß es doch in „Die Spur der Steine“ so schön: „Keine Fehlerdiskussion nach vorne diskutieren!“ Also zum Schluss einfach noch mal alles geben. Das heißt: Morgens früh um neun Uhr in den Berlinale Palast gehen. Der Wettbewerbsfilm „Desert Dream“ spielt an der chinesisch-mongolischen Grenze. Die Landschaft ist so schön, die Jurte so hübsch eingerichtet, es wird wenig gesprochen, und das kleine weiße Pferd nickt immerzu mit dem Kopf, da kann man sich recht schön hineinträumen. Dann zu Mittag folgt „Shotgun Stories“, ein angenehmes Brüder-Rache-Drama aus Arkansas, und man hat das Gefühl, schon einiges weggeschafft zu haben an diesem Tag.

Draußen wird jetzt auch alles immer absurder. Vor dem Hotel Hyatt parkt seit zwei Tagen ein Hundeschlitten mit Gummibereifung und sechs angeschirrten Hunden. Das verwahrlost und verwirrt wirkende Herrchen hat auf dem Schlittensitz ein Pappschild mit der Aufschrift „Huskietaxi“ angebracht, aber keiner will mitfahren. Vielleicht weil das Flokati-Sitzfell geradeaus gesagt total versifft aussieht. So fährt der Huskie-Chauffeur zornig alleine los und ruft dabei ständig der etwas verwirrt wirkenden Leithündin zu: „Links, Mira, links! Jetzt links, Mira!“

Bei Jacques Rivettes „Ne touchez pas la hache“ am Nachmittag will man die Protagonisten zwar ein ums andere Mal fragen: Was ist eigentlich euer Problem? Aber als die Fachbesucher die Vorstellung in Scharen verlassen, folgt man einfach dem Herdentrieb und hängt ein bisschen in der Radio-Eins-Lounge ab, die tagsüber ganz gemütlich ist, bis sich dann gegen Abend die Stimmung leider ändert.

Elektrodiscomusik wird angestellt, die Leute sind plötzlich aufwändiger/sexualisierter gekleidet, kichern laut, trinken Cocktails und der „Flirtfaktor steigt“, wie man in der Sprache der Stadtzeitschriften sagen würde. Angeekelt sucht man das Weite, aber zwei Folgen „Berlin Alexanderplatz“ bringen dann doch alles wieder ins Lot. Ach, das waren noch Zeiten, als es hier noch jemand wie Fassbinder und richtig tolle Schauspieler gab! Aber deshalb ist man auch gar nicht traurig, nix von den sogenannten „Filmpartys“ mitzukriegen. Wer will schon irgendwo zwischen prätentiösen deutschen Regisseuren, biederen Schauspielern und anderen Filmschaffenden herumstehen?

Die Bären werden wohl an „Irina Palm“ und „The Good Sheperd“ gehen, vielleicht kriegt Marianne Faithfull einen als beste Schauspielerin – alles wird seinen Lauf nehmen. Man selbst denkt über Einübungen in den Alltag nach. Mal eine 30-Grad-Wäsche anwerfen, mal wieder Bekannte anrufen, oder etwas ganz Neues anfangen, vielleicht Yoga oder Aquafitness?CHRISTIANE RÖSINGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen