: Wut und Frust in Friesland
Airbus-Mitarbeiter, die in Varel um ihre Jobs fürchten, sind sauer auf Chefs und Politiker
VAREL taz/dpa/ap ■ Mit dem endgültigen Aus rechnet im Airbus-Werk in Varel niemand so schnell. „Wir haben im letzten Jahr drei Millionen Teile geliefert. Wer soll das von heute auf morgen übernehmen?“, fragt Klaus Liebenthal, seit 26 Jahren Schleifer in dem Werk. Eher sei zu befürchten, dass in der Kleinstadt im niedersächsischen Friesland künftig nur noch ältere Modelle produziert würden, fürchtet ein junger Werkzeugmechaniker. Seinen Namen nennt er nicht. Er sagt nur: „Der Standort wird ausgehungert.“
Gestern Morgen haben die Beschäftigen erst in der Zeitung gelesen, dass ihr Werk aus dem Airbus-Konzern ausgegliedert werden soll. Wenige Stunden später gehen die meisten mit zusammengebissenen Zähnen an Journalisten vor dem Werkstor vorbei. „Enttäuscht“, „allein gelassen“ oder „kein Kommentar“: Mehr sagt kaum einer. Hinter dem Zaun patrouilliert Security. Wer dennoch redet, lässt keinen Zweifel daran, dass das Management die Schuld an der Misere trägt. Während die Belegschaft gute Arbeit leiste und „das beste Flugzeug der Welt“ baue, hätten die Manager „den Mund zu weit aufgemacht“ und den Blick für die Realität verloren.
„Ob es jetzt die Manager in Deutschland, Frankreich, England oder Spanien waren, ist doch egal“, meint der Werkzeugmechaniker. Auch die Politik sei viel zu spät aktiv geworden. „Frau Merkel reist herum und redet vom gemeinsamen Europa. Aber was tut sie, um einen Wirtschaftskrieg zwischen Deutschland und Frankreich zu verhindern?“, fragt Liebenthal.
Die IG Metall Küste kritisiert die Kommunikation von Politik und Unternehmen in der Airbus-Krise. „Es ist unerträglich, dass all diese Gerüchte durch die Welt geistern. Wir brauchen Fakten“, sagte Gewerkschaftssprecher Daniel Friedrich. Die Beschäftigten hätten einen Anspruch darauf, nicht über die Medien, sondern vom Arbeitgeber informiert zu werden.
Der mögliche Verkauf der Airbus-Werke in Varel und auch im nahen Nordenham bedroht eine besonders strukturschwache Region im Nordwesten Niedersachsens. „Es ist, als würde uns ein Stück aus dem Herzen gerissen“, sagt Varels Bürgermeister Gerd-Christian Wagner. Seit 70 Jahren ist der Flugzeugbau in der Region ein beherrschender Wirtschaftszweig. Ansonsten gibt es in der flachen Marschenlandschaft zwischen Weser und Jadebusen nur wenig Industrie.
Neben einer Keks- und einer Kartonfabrik ist Airbus in Varel der größte Arbeitgeber. Jeder sechste der knapp 8.000 Arbeitnehmer arbeitet hier. Bei einem Verkauf des Werks müssten große Anstrengungen für den Erhalt der Arbeitsplätze unternommen werden, meint Bürgermeister Wagner: „Für die hoch qualifizierten Flugzeugtechniker gibt es keine andere Beschäftigung in der Region.“ ANNEDORE BEELTE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen