Der Sandsack des Hiphop

Ein netter Mensch und Streetworker: Dass man unter einem positiven Image auch leiden kann, hat Gauner, der Rapper, schon längst erfahren. In der Poetry-Szene probt er den Neuanfang. Ein Porträt

VON THOMAS WINKLER

Der Ausblick ist urban. Durchs Fenster leuchtet der S-Bahnhof Alexanderplatz zum Greifen nah, dahinter ragt der Fernsehturm in den nächtlichen Himmel. Aus seiner Wohnung kann der Mann, der sich Gauner nennt, hinab blicken auf die absolute Mitte Berlins. Er findet das vor allem praktisch: „Ich wollte zentral wohnen.“ Sein eigentlicher Lebens- bzw. Arbeitsmittelpunkt aber liegt an der Peripherie und auch am Rande des deutschen Hiphop.

Denn Gauner ist, das signalisiert auch schon der Titel seines neuen, zweiten Albums „In Wirklichkeit Träumer“, die Political-Correctness-Zentrale des deutschen Rap, der Frauenversteher und Warmduscher. Man könnte auch einfach sagen: Er ist ein netter Mensch. Oder, wie er selber rappt: „Ich komm mir manchmal vor wie der Mond, unter all den Stars und Armleuchtern auch mal einer, der reflektiert.“ Das allerdings ist dieser Tage, da die Berliner Härte regiert, auch unter Rappern keine allzu gefragte Eigenschaft.

Im Laufe der Jahre wurde wohl über keinen deutschen Rapper so viel Häme ausgekippt wie über Gauner. „Ich wurde“, sagt er, „von allen Seiten gedisst.“ Ein anderer Rapper hätte diesen Satz voller Stolz gesagt. Denn in der Szene, in der der Wettbewerbsgedanke die Grundlage der Kreativität ist, gilt: Viel Feind, viel Ehr.

Gauner hält zwar die Grundlagen des Hiphop hoch, hat sich auch als guter Freestyle-Rapper bewiesen, aber für ihn ist Rap nicht synonym mit Sexismus, Homophobie und Kraftmeierei. Auf dem Album berichtet er stattdessen über entspannte Beats und in bisweilen durchaus brillanten Reimen aus seiner Kindheit in Ostberlin („Karlshorst“), kritisiert die USA und ihre Kriege („Helden“), schlüpft in den Körper eines rassistischen Polizisten („Wachsam“), untersucht die Psychologie der Hartz-IV-Empfänger („Bergab geht’s schneller voran“) und sorgt sich um die Umwelt („Vom Fischer und seiner Frau“). Für ihn ist Hiphop „mehr als weite Hosen tragen und auf Gangster tun“.

Der Rest der Welt allerdings sieht das meistens nicht so. Daher haben gerade die Gangster den Erfolg; einer wie Gauner hält sich nur mal eben so über Wasser. Die Platte, an der er die letzten Jahre gearbeitet hat, musste er selbst finanzieren. Und sie wird, da ist er sich sicher, ein Zuschussgeschäft werden. Vor allem dient die CD dazu, weiter auftreten zu können. Sein Geld verdient er sowieso vornehmlich mit Workshops, seit Jahren fährt mit dem Hiphop-Mobil umher. Auch wenn er sich selbst nicht als Sozialpädagoge sieht, auch wenn er selbst den Erfolg seiner Arbeit eher kritisch beurteilt, das Image ist hängen geblieben: Gauner ist der rappende Streetworker, einer, der die Sache verraten hat, sich verkauft hat an die Sozialarbeit.

Die Angriffe haben ihre Spuren hinterlassen. Den Namen aus seinem Personalausweis hält er geheim, so gut es geht, denn „ich habe nicht nur Freunde in der Stadt“. Und schließlich gibt es immer welche, die die rituelle Aufschneiderei im Hiphop allzu wörtlich nehmen. „Wahrscheinlich bin ich auch ein bisschen paranoid“, gibt er zu. Vor allem aber hat sich der mittlerweile 32-Jährige entfernt vom Rap, hat „keinen Kontakt“ mehr zu einer Szene, von der er nicht einmal mehr weiß, ob es sie noch gibt. Auf seinem Album hat er mit „Immer noch lieb’ ich Dich“ seiner großen Liebe einen Abschiedsgruß, einen Abgesang geschrieben: „Dich haben so viele gefickt, aber trotzdem bist Du immer noch alles für mich.“

So ganz entspricht das allerdings nicht mehr der Wahrheit. Denn heute, sagt er, „stehe ich mit einem Bein im Hiphop, mit dem anderen in der Slam-Poetry-Szene“. Es hat lange gedauert, bis er sich an die Berufsbezeichnung „Autor“ gewöhnt hat, und noch heute kommt es ihm seltsam an, wenn er angefragt wird, ob er einen seiner Texte für eine Anthologie freigeben möchte. Aber zwischen den anderen Stand-up-Literaten fühlt er sich nun heimischer als im Hiphop. Die Slam-Szene erinnert ihn an die Pioniertage, als Hiphop noch eine Kultur im Untergrund war: „Es sind noch sehr wenig Geld, deshalb sehr wenig Ellenbogen und viel Enthusiasmus im Spiel.“

Es ist ein Neuanfang, sein Leben ist im Umbruch. Unlängst hat er auch ein Studium begonnen. Alte Zöpfe mussten fallen. In seinem Fall die Dreads, die er seit 13 Jahren trug. Doch die Haare waren dünn geworden, die Geheimratsecken immer tiefer, die Entscheidung reifte zwei Jahre lang. Auf dem Cover des Albums trägt er die Zöpfe noch, im demnächst sendefähigen Videoclip zur ersten Single „Karlshorst“ fallen sie Udo Walz zum Opfer.

Den Promi-Friseur anzufragen, sagt Gauner, war einfach „eine spleenige Idee“, eine Verbindung, eine Bekanntschaft gar gab es nicht. Aber mit dem Auftritt eines Boulevard-Akteurs wie Walz signalisiert er, womöglich unbewusst, natürlich auch einen Bruch mit seiner Vergangenheit oder zumindest mit seinem Image als Gralshüter der wahren Werte des Hiphop.

Deren Verlust, dabei ertappt er sich selbst hin und wieder, beklagt auch er, und „vieles, was unter dem Label Hiphop passiert, nervt mich, aber im Großen und Ganzen sehe ich das gelassen“. Gauner glaubt, er war nie der Missionar, für den ihn viele gehalten haben. Nun will er es auch nicht mehr sein, will „nicht der Hiphop-Oberlehrer sein“, nicht mehr der Sandsack der Szene. Endlich will er ankommen zuhause, ankommen in seiner Mitte.

Gauner: „In Wirklichkeit Träumer“ (P-Pack Records/Groove Attack)