: Selbstlos, aber nicht uneigennützig
Die Deutschen müssen beweisen, dass sie ihren guten Ruf in der Umweltpolitik zu Recht haben. Wie? Indem sie den Kioto-II-Prozess zügig mit Geld und Logistik unterstützen
Deutschland hat in der Umweltdiplomatie einen guten Ruf. Die Umweltaußenpolitik Deutschlands ist traditionell fortschrittlich. Schließlich hat die Bundesrepublik in den 70er- und 80er-Jahren gerade als Musterknabe im Umweltschutz wieder Ansehen in der Staatengemeinschaft erworben. Progressive globale Umweltpolitik gehört deshalb ebenso zur deutschen Staatsräson wie die Freundschaft der KanzlerIn mit Frankreichs StaatspräsidentIn.
Es ist deshalb zu erwarten, dass auch Sigmar Gabriel in Nairobi Eindruck machen wird. Er kann auf dem gewachsenen Renommee Deutschlands aufbauen, um die Verhandlungen voranzubringen. Er könnte es allerdings auch verspielen, wenn zu defensiv auftritt. Das heißt, er muss weit reichende Ziele anstreben und seine EU-Partner ebenfalls dazu bringen. Und er muss glaubwürdig sein, um die Partner in der EU und weltweit mitzuziehen. Diese Strategie hat in den Kioto-Verhandlungen zum Erfolg geführt und kann es wieder tun.
Dazu gehört neben der internationalen Rolle eine ebenfalls glaubwürdige nationale Klimapolitik. Hier geht es dem Minister ein wenig wie der Bundesregierung insgesamt: Dem außenpolitischen Glanz steht eine eher ernüchternde innenpolitische Bilanz gegenüber. Die Nutzung des Emissionshandels – eigentlich ein Klimaschutzinstrument – als Förderprogramm für Kohlekraftwerke wird auch den anderen Klimadiplomaten in Nairobi nicht verborgen bleiben.
Eine Strategie der Bundesregierung zur Reduzierung der weiter steigenden Verkehrsemissionen ist bisher nicht erkennbar. Wenn nicht deutlich wirksamere Maßnahmen ergriffen werden, kann Deutschland sein Klimaschutzziel nicht erreichen. Das könnte Deutschland den Auftritt in Nairobi und auf den folgenden Konferenzen verderben.
Sigmar Gabriel und die gesamte Bundesregierung müssen also mehr tun als üblich in der deutschen Umweltpolitik. Dazu gehört neben einer effektiven nationalen Klimapolitik auch eine strategische Klima-Außenpolitik. Hier sind kurz- bis mittelfristig vor allem zwei Themen wichtig:
Erstens, Deutschland hat im ersten Halbjahr 2007 den Vorsitz in der Europäischen Union. Hier wird von Gabriel erwartet werden, dass er einen möglichst umfassenden Vorschlag für die Kioto-II-Verhandlungen vorlegt. Die Sondierungen laufen schon jetzt, und er wird viele Gespräche führen müssen und vor allem die Verlautbarungen der EU auf ihre Verträglichkeit mit einer Gesamtstrategie abstimmen. Außerdem sollte er dafür sorgen, dass die Verhandlungsplanung einigermaßen ambitioniert erfolgt. Hier ist gar nicht mal das Wichtigste, ob als Enddatum schon 2008 angepeilt wird – es kann durchaus sinnvoll sein, die Schlussverhandlungen 2009 mit der NachfolgerIn von Präsident Bush zu führen.
Ende 2009 muss Kioto II jedoch stehen, wenn man die Klimaziele erreichen will. Entscheidend kann deshalb sein, ob der Zeitplan einen erfolgreichen Abschluss überhaupt erlaubt. Dazu muss eine Mindestanzahl von Verhandlungsrunden eingeplant werden – für den Abschluss des Kioto-Protokolls wurden innerhalb von zwei Jahren acht Runden benötigt.
Die Verhandlungen für Kioto II sind noch schwieriger. Deutschland ist hier in der Pflicht und kann etwa durch die Bereitstellung finanzieller und logistischer Mittel viel zu dem Erfolg der Verhandlungen beitragen – gerade angesichts der Weigerung der USA, für die Ausgaben im Rahmen des Kioto-Protokolls auch nur einen US-Cent beizutragen.
Um das leidige Geld geht’s auch beim zweiten Thema – der Anpassung an den Klimawandel. Die von den ärmsten Staaten gerade erstellten nationalen Anpassungspläne zeigen die Richtung auf: Für Samoa zum Beispiel wird empfohlen, die Infrastruktur – sprich Straßen, Eisenbahnen, Elektrizitätswerke, Dörfer und Städte – auf höher gelegene Gebiete zu verlagern, um dem Anstieg des Meeresspiegels zu entgehen.
Außerdem müssen Gebäude zum Schutz gegen Zyklone, die regionalen Wirbelstürme, verstärkt und Brunnen vor eindringendem Meerwasser geschützt werden. Dies alles kostet viel Geld. Der letztes Jahr in Montreal eingerichtete Anpassungsfonds ist zwar innovativ, weil zum ersten Mal internationale Transaktionen für das Gemeinwohl besteuert werden.
Doch wird die zu erzielende Summe über ein paar hundert Millionen Euro bis 2012 nicht hinausgehen. Kein Pappenstiel, aber doch nur ein Bruchteil der erforderlichen Summe von 10 bis 40 Milliarden Dollar jährlich, die nach Angaben der Weltbank erforderlich sind. Es braucht also erheblich mehr Mittel. Dieses Problem kann Umweltminister Gabriel nicht alleine lösen. Da braucht er die Unterstützung von Finanzminister Peer Steinbrück oder von Heidemarie Wieczorek-Zeul, der Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zufällig Mitglieder derselben Partei, ebenso wie der Außenminister.
Ist es angesichts dieser Konstellation vermessen, von einer „Weltinnenpolitik“ zu träumen, wie sie einmal Willy Brandt konzipiert hat? Also einer Politik, die darauf ausgerichtet ist, auch die entfernteren Angelegenheiten dieses Planeten als die eigenen zu betrachten, den Benachteiligten zur Seite zu stehen und relativ selbstlos Hilfe zu leisten?
Es wäre sehr überraschend, wenn nicht auch die Kanzlerin für ein solches Projekt zu gewinnen wäre. Ganz nebenbei würde dadurch auch das Bild Deutschlands in der Welt mit neuem Glanz versehen – ein unschätzbares Pfand für eine randständige Mittelmacht wie Deutschland. Und die Verhandlungen mit dem Süden würden sich plötzlich sehr vereinfachen, wenn die uneigennützige Hilfe bei der Anpassung zum Topthema würde. Dass auch die deutschen Wirtschaftsinteressen dabei nicht zu kurz kommen müssen, versteht sich von selbst, denn die deutsche Industrie würde neben der lokalen Geschäftswelt voraussichtlich einigen Nutzen aus diesen Anpassungsmaßnahmen ziehen.
Gefordert ist also eine konsequente Weltinnenpolitik der großen Koalition, die der großen Herausforderung angemessen ist. Sie muss darauf gerichtet sein, den Klimawandel zu vermeiden und die durch das Klimachaos entstehenden Ungerechtigkeiten auszugleichen. Die Minister Gabriel und Wieczorek-Zeul müssen, jenseits aller Ressortrangeleien, endlich konsequent zusammenarbeiten. Sie müssen ihre Portfolios und Programme überprüfen, Doppelarbeit vermeiden und alle Synergieeffekte nutzen. Der Klimawandel drohe, alle Fortschritte der Entwicklungspolitik zunichtezumachen – so die Ministerin selbst vor ein paar Jahren. Sie hat Recht. Nur wenn auch die Entwicklungspolitik konsequent auf den Klimaschutz (Minderung und Anpassung) ausgerichtet ist, kann Armutsbekämpfung nachhaltig sein.
Dies sind Träume jenseits von Nairobi, gewiss. Aber ihre Realisierung muss in Nairobi begonnen werden. HERMANN E. OTT