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„Wir haben aus der RAF das Falsche gelernt“

Der Staat hat auf den RAF-Terror in den 70er-Jahren mit Sondergesetzen und Freiheitseinschränkungen reagiert. Damit wurde das Tor für eine schleichende Erosion der Grundrechte geöffnet, so der frühere Innenminister Gerhart Baum

taz: Herr Baum, warum wird die RAF-Debatte derzeit wieder mal mit so hohem emotionalem Einsatz geführt?

Gerhart Baum: Die Taten waren sehr brutal. Und es gibt die Bilder, an denen sich Gefühle entzünden. Vor allem aber bestehen die politischen Fronten auch heute noch. In den 70ern stand die reformorientierte Fraktion – die Brandt-SPD, die FDP, Teile der Protestbewegung – den Konservativen gegenüber, die behaupteten: „Der Terror ist auf eurem linken, linksliberalen Nährboden gewachsen. Und ihr wollt keine wirksamen repressiven Instrumente schaffen, um ihn zu bekämpfen.“ Diese alten Schützengräben sind heute wieder geöffnet.

Wer hat sie geöffnet?

Stoiber klang vorgestern in Passau doch wie Strauß in den 70er-Jahren. Wenn er fordert, lebenslänglich von 15 auf mindestens 20 Jahre Haft zu verlängern, dann entspricht das dem Muster, den Volkszorn gegen grundlegende Verfassungsprinzipien zu mobilisieren.

Stoiber will auch eine Art Talkshow-Verbot für ehemalige Terroristen …

Das ist absurd. Es gab doch auch Exterroristen, wie etwa Klaus Jünschke, die öffentlich aufgetreten sind und sehr wichtige, selbstkritische Beiträge geleistet haben. Außerdem glaube ich, dass viele wissen wollen: Was sind das für Menschen, die so schwere Schuld auf sich geladen haben und so lange im Gefängnis waren? Denken Sie an das Interview von Günter Gaus mit Christian Klar. Natürlich war das von öffentlichem Interesse.

Innenminister Schäuble hat kürzlich gesagt: Die RAF war eine gewaltversessene Mörderbande – und sonst nichts.

Natürlich war sie das – aber nicht nur. Es war damals richtig, zu fragen, ob gesellschaftliche Fehlentwicklungen etwas mit der RAF zu tun hatten. Selbstverständlich nicht, um so Morde zu rechtfertigen, sondern um die RAF besser zu verstehen. Das hat damals auch Kardinal Ratzinger gesagt.

Ist die RAF-Debatte auch ein Versuch der Union, ziemlich billig zu zeigen, wie konservativ sie ist? Sie hat in der großen Koalition ja momentan echte Probleme, sich von der SPD abzugrenzen.

Es sieht so aus. Vor allem die CSU neigt dazu, den Terrorismus – und auch die Opfer – politisch zu instrumentalisieren. Das funktioniert allerdings nicht immer, wie man an der Wahl 1980 sehen konnte, als Strauß gegen Schmidt verlor. Da hat die CSU versucht, uns Sozialliberale zum Sündenbock für den Terror zu machen. Ohne Erfolg.

Die Konservativen meinten damals, sie wären als Innenmininister zu lasch. Dabei gab es ja viel Repression. In RAF-Prozessen durfte ohne Angeklagte verhandelt werden, die Angeklagten saßen teilweise sehr lange in Einzelhaft, es gab die Lex RAF, die Verteidigerrechte einschränkte, und das Kontaktsperregesetz. Hat der Staat damals überreagiert?

Ja. Es sind Sondergesetze geschaffen worden, die übrigens nie auf ihre Effizienz überprüft wurden. Das Kontaktsperregesetz ist in meiner Amtszeit entschärft worden, sodass es keine totale Kontaktsperre für Häftlinge mehr gibt. Und wir haben damals Fahndungsmethoden abgeschafft, die viele unbeteiligte Bürger erfassten.

Aber richtig ist: Seit den RAF-Gesetzen gibt es eine schleichende Erosion unserer Grundrechte, verstärkt seit dem 11.September 2001. Der Ausnahmezustand wurde zur Regel. Die Antiterrorgesetze seit 2001 zeigen, dass wir aus der Auseinandersetzung mit der RAF das Falsche gelernt haben.

Sie haben damals auch versucht, einen Dialog mit dem RAF-Umfeld zu führen. War das erfolgreich?

Ich glaube ja. Ein Dialog mit den RAF-Tätern war ausgeschlossen. Aber notwendig war der Versuch, mit Sympathisanten zu reden und die zu erreichen, die zweifelten. So haben wir es geschafft, das Unterstützerfeld auszutrocknen. Es gab ja viele, die Sympathien für die RAF hatten – neben einer sehr kleinen Gruppe, die die RAF direkt unterstützt hat. Wir haben zu lange nur auf Polizei und Justiz gesetzt – und zu spät versucht, die Sprachlosigkeit zu überwinden und zu zeigen, dass der Staat reformfähig ist. Und so Leute vom Weg in die Gewalt abzuhalten.

Was hieß das konkret?

Wir haben Ende der 70er-Jahre, etwa für Astrid Proll, Brücken gebaut und mit solchen Signalen die Lage entspannt. Diesen Versuch haben später Antje Vollmer und Klaus Kinkel fortgesetzt.

Es gab in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der RAF also positive Lernprozesse?

Ja. In den 70ern haben wirklich manche den Kriegszustand gegen die RAF ausgerufen – und so noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Das war in den 80ern etwas anders. Als die RAF 1985 ihre bis heute unaufgeklärten Morde beging, war die öffentliche Reaktion nüchterner.

Hätten Sie auch auf Dialog und Entspannung gesetzt, wenn es um Rechtsterroristen gegangen wäre?

Ja, ich würde immer versuchen, Leute, die noch erreichbar sind, von politischer Gewalt abzuhalten.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

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