: Familie nimmt von Adenauer Abschied
Die große Koalition scheut sich nicht mehr vor der Debatte über das Ehegattensplitting
VON COSIMA SCHMITT
Es ist ein Prinzip, das eher zu Eva Herman zu passen scheint als zu einer modernen Volkspartei. Der Muff der Adenauer’schen Fünfziger umgibt dieses System, das Frauen dazu animiert, sich ganz dem Putzen und Kinderhüten zu widmen. Und das jährlich Milliarden Euro bindet, mit denen mancher Politiker lieber die ein oder andere Kita ausgestattet sähe. Erstmals wagt es die SPD nun, ein vielgescholtenes, aber nie ernsthaft bedrohtes Prinzip infrage zu stellen: das Ehegattensplitting. „Es gibt eine so hohe Akzeptanz für eine Reform des Splittings wie noch nie“, sagte die SPD-Linke Andrea Nahles der taz. „Jahrelang liefen wir gegen Wände mit unserer Kritik. Jetzt aber ist der Wille da, wirklich etwas zu ändern.“
Seit Jahren schon fordern die Grünen eine Einschränkung dieses Prinzips, das Eheleuten das gemeinsame Veranschlagen ihres Einkommens ermöglicht (siehe Kasten). Auch in der SPD gab es mehrfach Anläufe, das Thema auf die Agenda zu setzen – die aber jeweils am Widerstand in den eigenen Reihen scheiterten. Dieses Zögern könnte bald Vergangenheit sein.
Heute wollen SPD-Chef Kurt Beck und Finanzminister Peer Steinbrück das neue Familienkonzept ihrer Partei vorstellen. Im Zentrum steht die Frage, wie ein deutlicher Ausbau der Kinderbetreuung finanziert werden könnte. Ein Teil des Geldes soll durch eine Reform des Ehegattensplittings freigesetzt werden. In der Diskussion sind Modelle, nach denen zumindest sehr gut verdienende Paare nicht mehr ganz so stark von den Splittingsvorteilen profitieren sollen.
Dass die SPD erst jetzt beginnt, das Ehegattensplitting ernsthaft infrage zu stellen, hat taktische Gründe: Es fällt schwer, eine Reform zu vertreten, die für zehntausende Wähler Einbußen bedeutet. Dies gilt umso mehr, als die Alternative – die Ehefrau ergreift einen Job – nicht für alle Familien lebbar ist: Solange man vielen Müttern etwa in ländlichen Regionen Westdeutschlands weder einen Kitaplatz noch familienfreundliche Arbeitszeiten bieten kann, ist ihnen schwer zu vermitteln, dass sie keinen Anspruch auf Splittingsvorteile mehr haben sollen.
So plädiert auch Andrea Nahles für eine Gesamtstrategie. „Wir müssen das Ehegattensplitting ändern, aber auch mehr Krippen und eine familiengerechtere Arbeitswelt schaffen. Wir müssen endlich die Spirale durchbrechen, die tausende Frauen ans Haus bindet, die viel lieber berufstätig wären.“ Nahles ist indes skeptisch, dass ihre Partei einen radikalen Schnitt wagt. „Den gordischen Knoten werden wir wohl nicht durchschlagen. Aber immerhin – wir gehen in die richtige Richtung.“
Nicht jedem in der Partei ist diese Gangart schnell genug. Familienpolitikerin Christel Humme etwa sähe das Ehegattensplitting „am liebsten komplett abgeschafft“. Sie kritisiert es als überholtes Modell. „Es animiert Frauen, mit der Ehe ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Es begünstigt Alleinverdiener mit sehr hohem Einkommen“, sagt Humme. „Ein Paar, bei dem er 100.000 pro Jahr verdient, spart 8.000 Euro an Steuern. Dieses Geld könnten wir sinnvoller einsetzen – und zwar für den Kitaausbau.“ Eine völlige Abschaffung des Ehegattensplittings aber hält auch sie „derzeit für nicht durchsetzbar“. Allerdings gebe es in der SPD einen breiten Konsens, das bestehende Modell zu reformieren und die Splittingvorteile zu kappen. Diskutiert werde etwa der folgende Kompromiss: Ein Ehepaar darf das Gesamteinkommen nicht mehr halbieren. Vielmehr kann der Besserverdienende nur einen kleinen Teil seiner Einkünfte an Partnerin oder Partner übertragen – zum Beispiel die Summe, die ihr oder ihm bei einer Scheidung als Unterhalt zustünde. „Wir brauchen eine Politik, die anerkennt, dass sich die Lebenswelt junger Paare geändert hat. Und dass die meisten jungen Frauen beides wollen – Beruf und Kind.“
Noch gleicht das Vorgehen der SPD einem Tapsen durch vermintes Gebiet. Eifrig fahnden die Politiker nach Begriffen, die Reformwillen andeuten – aber deutlich machen, dass sich niemand vor allzu harten Einschnitten fürchten muss. Nahles spricht lieber vom „Ändern“ des Splittings als von seiner Streichung. Auch der Begriff „Kappen“ wird derzeit gerne genutzt.
Deutlichere Worte finden dagegen Oppositionspolitiker. Ina Lenke etwa, familienpolitische Sprecherin der FPD-Bundestagsfraktion, hält die jetzige Regelung für „eine bodenlose Frechheit“. Veränderungen seien dringend geboten. „Wenn beide arbeiten gehen, das gleiche verdienen, Kinder haben, schauen sie in die Röhre.“
Ob indes die SPD mit ihren Reformwillen auch den Koalitionspartner überzeugen kann, ist zweifelhaft. Zwar diskutiert jetzt auch die Union über das Ehegattensplitting – aber eher im Sinne einer Erweiterung, bei der Eltern zusätzliche Steuervorteile genießen. „Dass man eine Ehe mit Kindern steuerlich anders fördert als eine Ehe ohne Kinder, ist für mich legitim“, verteidigte Kanzlerin Angela Merkel am Wochenende die Idee eines Familiensplittings. „Das heißt nicht, dass ein unverheiratetes Paar genauso behandelt wird wie ein Ehepaar. Denn beim Ehepaar kommt ergänzend das Ehegattensplitting hinzu.“
Auch Familienministerin Ursula von der Leyen wendet sich gegen die Ansinnen des Koalitionspartners. „Kinderlose vom Ehegattensplitting auszunehmen, wie es die SPD will, finde ich ungerecht“, sagte von der Leyen am Wochenende. Denn dass träfe auch ältere Eltern, die steuerrechtlich als kinderlos gelten. Sie würden so „im Nachhinein dafür bestraft, dass sie ihr Leben lang Zeit und Geld in ihre Kinder investiert haben und fürs Alter nichts zurücklegen konnten“.
Wie genau ein Familiensplitting aussehen könnte – sei es nun als Alternative oder als Ergänzung zum bestehenden Modell –, ist bislang noch ungewiss. Ein Vorbild gibt es schon in Frankreich. Hier werden neben dem Partner die Kinder auch als Splittingfaktor eingerechnet. Ein Paar mit zwei Kindern etwa darf sein Einkommen beim Finanzamt nicht nur durch zwei, sondern durch drei teilen. Ein Vorteil des Familiensplittings: Es bezieht auch Alleinerziehende mit ein. Gerade jene Gruppe, die in Deutschland keinerlei Splittingvorteile genießt, stünde so besser da als bisher.
Insgesamt aber profitiert vom Familiensplitting französischer Art vor allem der Gutverdienende mit mehreren Kindern. Es zielt also in eine ähnliche Richtung wie das Elterngeld: In erster Linie profitiert die ohnehin finanziell recht gut situierte Mittelschicht. Es dient also weniger dem sozialen Ausgleich. Es könnte aber bei einem Paar, das die klassische Rollenverteilung lebt, Anreize geben, noch ein drittes oder viertes Kind in die Welt zu setzen. Nur in diesem Punkt lässt es sich auch als Beitrag zur Diskussion um Auswege aus dem demografischen Wandel betrachten: In Deutschland gibt es noch relativ wenige Großfamilien, die in anderen Ländern, statistisch gesehen, die Kinderlosigkeit der anderen ausgleichen.
Einen Konstruktionsfehler kann auch das Familiensplitting nicht ändern: Auch in dieser Variante wird es bestraft, wenn beide Ehepartner arbeiten gehen. Auch hier hat eine Mutter das Gefühl, es lohne sich nicht, einen Beruf zu ergreifen – weil die Differenz zwischen Splittingvorteil und ihrem Einkommen oft sehr gering ist. Gerade die Frauen bleiben also außen vor, die sich um eine gutbezahlte Vollzeitstelle bemühen. Insofern hilft es zwar dem Anliegen der CDU, sich als besonders familienfreundlich zu profilieren, verfestigt aber ein Rollenbild, das längst auch in der Union Rückhalt verloren hat.
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