piwik no script img

ausgehen und rumstehenEine gewisse Romantik (based on some true lyrics)

Die Freunde des Bürgerlichen verschwinden in Ehegelübden, ausgelebten Reproduktionsträumen und Heimatfilmen, und was übrig bleibt am Freitagabend beim Ausgehen, sind flippige Girls in Röhrenjeans! Und Pete-Doherty- Doppelgänger, nur meist ohne Pepitahut. Mag sein, dass sie auch klassische Reeboks anhaben oder abgeranzte Chucks, das ist alles nicht der Punkt, der Punkt ist, dass die Romantik fehlt.

Vielleicht liegt es an diesem Viertel, an diesem Friedrichshain, in das es uns einfach nicht mehr oft verschlägt. Dieses Viertel ist inzwischen nahezu durchgefegt, aufgemöbelt und neu angestrichen worden, es gibt Cafés und Läden mit Selbstgemachtem, es gibt Tischtennisplatten aus Stein und Spielplätze und Bäume für die Hunde, es gibt mehr junge Leute auf diesem Fleck als im gesamten Rheinland zusammen, es gibt Imbisse und Videotheken haufenweise und wirklich viele Bars und Spelunken. Und keine einzige wirklich gute.

Das Habermeyer in der Gärtnerstraße ist ja ganz nett. Die Bedienungen sind betont gleichmütig, der Schallplattenaufleger spielt Surfmusik, an den Wänden sind lustige Rohre befestigt, leere Toilettenpapierrollen, allerdings unterschiedlich groß. Aber die auf den Sofas herumlümmelnden Jungs tragen alberne Bärte und kommen sich stets eine Spur zu toll vor, und die Mädchen tragen alle diese Röhrenjeans in Stiefeln. Es ist, als ob der schreckliche Teil von Mitte und Prenzlberg einfach südwärts gewandert wäre, zu den anderen Schrecken von dem, was man einmal eine Jugendkultur genannt hat. Es gibt Löcher, die auch so heißen, in denen es keine benutzbaren Klos gibt und wo es nach monatelang ungeleerten Aschenbechern riecht. Es gibt die Astro Bar, in dem sich Touristen mit Kiffern und Koksfrischlingen unterhalten und alle sich gegenseitig ihren Hautausschlag zeigen (kein Scherz, wirklich so passiert und schön sah das wirklich nicht aus).

Es gibt Läden, die Plexiglastüren mit weißen Plastikrahmen haben, einen Kicker und stumpfe Pubrockkonserven. Läden, in denen man sich schlagartig in seine eigene Provinzjugend strafversetzt fühlt. Es gibt Orte, die „Volkswirtschaft“ oder „Tagung“ heißen, mit viel DDR-Devotionalien an den Wänden, Erich Honecker mit Trauerflor und Hammer und Zirkel als stehengebliebene Uhr. Dazu gibt es gebrochene Knochen und Musik, die nur als Vorlage für die neuen Klingeltöne dient und die man zu jeder Tageszeit um die Ohren gedudelt bekommt. Es braucht keinen „Tatort“-Kommissar, um die Spuren dieser Trendphänomene zu lesen. Das ist die Wahrheit, die sie nicht sehen können. Aber das ist alles nicht der Punkt, der Punkt ist, dass hier die Romantik fehlt.

Aber es kann auch nett werden in Friedrichshain. Wenn man sich etwas zu erzählen hat, etwas über den Flötenunterricht damals oder den selbstgepflegten Minimalalkoholismus heute. Oder wenn man auf ein Essen eingeladen ist, zu Fisch bei Freunden in aufgeräumten Altbauwohnungen mit Zentralheizung. Da vergisst man schnell, dass draußen auf den Straßen rund um das Frankfurter Tor Erbrochenes liegt. Und juvenile Drogenauten aus Marzahn, die ihre kiezmentalen Hemmungen überwunden haben und sich mit lautem Pöbeln über die Restunsicherheit hinweghelfen.

Am Samstagabend waren wir schon wieder in Friedrichshain, und es ist davon auszugehen, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist. Oh nein, oh nein. Aber das ist alles nicht der Punkt, der Punkt ist, dass die Romantik fehlt. Denn viel lieber sind wir auf der anderen Seite der Spree, wo die Bars wissen, was sie tun und was sie sind. Und wo es sie gibt, diese gewisse Romantik, von denen die Arctic Monkeys in ihrem Lied erzählen.RENÉ HAMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen