: So viele Gleichgesinnte
Der Berliner Schriftsteller Bernd Cailloux interessiert sich für die tragikomischen Momente, in denen sich eine hochfliegende Kultur-Boheme und die Alltagsnormalität in die Quere kommen. Ein Portrait
VON DIRK KNIPPHALS
Im Jahr 2005 feierte Bernd Cailloux einen schönen Erfolg mit „Das Geschäftsjahr 1968/69“. In dem Roman erzählt er von dem ominösen Jahr 1968, indem er die Verbreitung des Stroboskoplichts in den Diskotheken dieser Republik in den Mittelpunkt stellt. Bewusstseinserweiterung durch Lichtgeflacker – und auch eine Geschichte darüber, wie hehre Ideale allmählich in ein reines Geschäftsgebaren münden.
Die Kritik fand’s gut, erstaunlich viele Käufer fanden sich auch, und als anschlussfähig bei jüngeren Autoren – für eine 68er-Geschichte nicht selbstverständlich – erweist sich die Sache zudem. Holm Friebe und Sascha Lobo erwähnen in ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit“ die von Cailloux beschriebene 68er-Boheme-Truppe „Muße-Gesellschaft“ als ein Vorbild ihrer derzeit so angesagten Zentralen Intelligenz Agentur. Kürzlich sind unter dem Titel „German Writing“ neue Kurzgeschichten des 61-Jährigen herausgekommen (Suhrkamp Verlag, 144 Seiten, 8 Euro). Anlässe zur Zufriedenheit gibt es also. Und doch lacht Bernd Cailloux, wenn man ihn zu Hause besucht und zum Warmmachen fragt, ob er gerne Schriftsteller sei, erst einmal laut auf. Dann dreht er sich eine Zigarette und antwortet: „Eine bestimmte Illusion von Freiheit steckt schon in diesem Beruf. Aber andererseits gibt es auch viele Momente, wo man das Schreiben und das Schriftstellersein als Fluch betrachten kann.“
Mag sein, dass die Frage überraschend war. Aber das erklärt dieses – wissende Lachen nicht allein. Die Frage nach dem Verhältnis dieses Autors zu seinem Autorenberuf drängt sich sowieso auf, wenn man die neuen Erzählungen liest.
Ihr Themenbereich ist eng gefasst. Bernd Cailloux schreibt über Schriftsteller in bedrängter Lage. Entweder haben sie gerade kein Geld und müssen Aushilfsjobs annehmen, etwa den eines Statisten beim Film in der Erzählung „Anruf aus Hollywood“. Wobei sie dann in drei Drehtagen so viel Geld verdienen wie an einem Roman, an dem sie drei Jahre lang gearbeitet haben – was einem den eigentlichen Beruf nicht gerade sympathisch macht. Oder sie sind durch die einsame Arbeit am Schreibtisch ungeübt darin geworden, normale Gespräche zu führen, wie in „Das japanische Fadenziehen“. Ständige Selbstreflexion ist nicht hilfreich, wenn man einfach mal flirten will. Oder sie müssen sich in einer Westberliner Eckkneipe als Schriftsteller outen. Der Ich-Erzähler überlegt: „Welchen Beruf hätte ich sonst angeben können? Es war noch nie leicht, das Schriftstellerdasein ohne paranoide Anwandlungen zu erklären – nicht einmal vor mir selbst. Und erst recht nicht diesem von sich selbst überzeugten, im Schultheiss-Stübchen sitzenden Hausmeister.“
Dann gibt es noch die üblichen Abenteuer der Abgabetermine und Überraschungen bei Lesungen. Bernd Cailloux schildert, alles in allem, ein eher unglamouröses Schriftstellerleben, bei dessen Bewältigung man eine gehörige Portion Humor braucht.
Er wohnt im obersten Stock eines Mietshauses in Berlin-Schöneberg. Ein paar Blocks weiter hat mal David Bowie gelebt, in seiner „Heroes“-Phase. Inzwischen darf man die Gegend getrost als windschattig bezeichnen. Vor die Fensterfront in Cailloux’ Wohnung ist ein langer Schreibtisch gesetzt, der die ganze Breite des Zimmers einnimmt. Auch sonst handelt es sich, mit der kargen Einrichtung und den herumliegenden Manuskripten, erkennbar um die Arbeitswohnung eines Schriftstellers. In ihr erläutert Bernd Cailloux, weshalb man das Schreiben als Fluch betrachten kann: „Man sieht natürlich nur die Buchpreisträger. Man sieht nur die strahlenden Darstellungen, neuerdings seit Pop. Das betrifft aber nur ein Prozent der Autoren. Was ist mit den anderen? Meine Ichfiguren gehören zu den anderen. Sie schreiben oder haben einmal geschrieben. Sie hatten vielleicht auch einmal Erfolg, sind dann aber abgetaucht, verschwunden oder werden nicht mehr publiziert. Der Beruf ist sicher einer der schwierigsten, auf die lange Strecke.“
Ungerührt rückt die Digitalanzeige des Aufnahmegeräts weiter bei solchen Sätzen. Und man selbst malt sich automatisch einen passenden Hintergrund für solche Aussagen aus. Große Träume, die zerplatzten? Eher ein Autor, der viel mitgemacht hat in seiner Karriere, noch nie einen bedeutenden Preis bekommen hat – zu Unrecht übrigens – und sich nichts mehr vormachen will, falls er sich überhaupt je etwas vorgemacht hat. Ebenso wenig, wie er in Wehleidigkeit ausbricht, tritt Bernd Cailloux in seinen neuen Geschichten als großer Entlarver von hehren Schriftstellerklischees auf. Aber gegen Illusionen anzuschreiben, das ist schon sein Thema.
Wie jemand seine Illusionen verliert, hat Cailloux in „Das Geschäftsjahr 1968/69“ beschrieben. Auch im Hintergrund der neuen Erzählungen lässt sich dieses Thema finden, allerdings betrifft es nun den Autor selbst. Wenn Bernd Cailloux an den Anfang seiner Autorenkarriere in den Siebzigern zurückdenkt, klingt das so: „Na ja, vielleicht habe ich gehofft, dass in der Sphäre der Literatur andere Verhaltensweisen herrschen als im Showgeschäft oder in normalen Firmenbetrieben, dass es im Literaturbetrieb nicht so viele Intrigen gibt und kein Mobbing. Aber das war natürlich eine schöne Illusion.“ Dann folgt sein Lachen wieder.
Illusionen etwas entgegensetzen: Die neuen Erzählungen transponieren den Ansatz das Romans nicht einfach von 68 zu einem heutigen Schriftstellerdasein. Sondern sie gehen vom erreichten Stand des Romans aus. Aus einer Situation, in der von vornherein keine Illusionen da sind, geht es in den Erzählungen darum, das Beste zu machen. Das kann dann wieder spielerische Züge annehmen, bis hin zur grotesken Situation, dass sich ein Autor an einem Spätschalter der Post in einer langen Schlange von Autoren wiederfindet, die alle noch den Eingangsstempel des Tages brauchen. Ein Papierkonzern hat einen Erzählwettbewerb über die Bedeutung des Geldes ausgeschrieben, Preisgeld: 20.000 Euro. Worauf der Ich-Erzähler trocken feststellt: „Welche Überraschung, so viele Gleichgesinnte. Alle verleitet und hergelockt von der Idee eines einzigen, abgebrühten PR-Managers, um hier als leicht peinliche Massierung von Außenseitern in einer stocknormalen Künstlerschlange zu enden.“
So lakonisch auf den Punkt gebracht sind viele Sätze in diesen Erzählungen. Bernd Cailloux pflegt einen abgebrühten Witz. Gelegentlich ist auch ein ketzerischer Spaß daran spürbar, am Image des Künstlerdaseins zu kratzen – indem man mal wirklich erzählt, was Sache ist, wie sich so ein Schriftstellerleben anfühlen kann. Auch wenn Bernd Cailloux das mit dem Ketzerischen gleich relativiert: „Ketzerisch ist übertrieben. Aber die Erzählungen nehmen schon etwas von dem falschen Glanz des Berufs, der durch die Medien permanent erzeugt wird. Das wird ein bisschen zurückgeführt auf die Realität. Gleichzeitig handelt es sich aber um Menschen, die etwas erleben und nicht schlecht darüber erzählen können.“
Der letzte Satz ist wichtig. Denn so bedrückend die Umstände gelegentlich sind, die Fähigkeit, von ihnen immerhin interessant erzählen zu können, gesteht Cailloux allen seinen Erzählern zu. Das Erzählenkönnen ist so etwas wie der eigene Schopf, an dem sie sich wie Münchhausen selbst aus dem Schlamm herausziehen. So handeln die Geschichten letztendlich gar nicht von den misslichen Lebensumständen selbst, sondern von Menschen, die in ihnen wenigstens die eigene Würde bewahren. Solange sie etwas zu erzählen haben, muss man sich die Erzähler bei Bernd Cailloux wenn schon nicht als glückliche, so zumindest als ungebrochene Menschen vorstellen.
Dass er ein ausdrückliches Programm hat, bestreitet Bernd Cailloux im Gespräch allerdings: „Möglicherweise kann man das in diesen Erzählungen im Nachhinein so sehen. Aber zunächst einmal beschreiben sie eben doch Erfahrungen, versuchsweise und so wahr, wie es mir möglich ist. Man kann nicht nach der Theorie erzählen. Das würde gar nichts nutzen. Man ist der Mensch, der man ist, und man hat nicht mehr zu sagen als andere, aber man möchte erzählen, und dann fangen bestimmte Formprobleme an.“
Das Erzählen also, die Arbeit an der Form, versuchsweise, aber so wahr wie möglich, das ist es, was die Ich-Erzähler in diesen Geschichten den Kopf über Wasser halten lässt. Denn die Arbeit an der Form, diese Bürde und würdevolle Aufgabe zugleich, kann dem Autor niemand nehmen – das wird in den Geschichten zwar nicht direkt gesagt. Aber das steht deutlich im Hintergrund dieses Erzählprojekts.
Und um welche erzählerischen Formen geht es Bernd Cailloux konkret? Satiren, sagt er ins Mikrofon, während eine weitere Zigarette in den Aschenbecher wandert, möchte er keine schreiben. Die Tragikomödie bildet für ihn die Folie: „Die Satire ist eine tote Form, weil es zu wenig ist, wenn man einen Umstand herausnimmt und den satirisch ausstellt. Der Begriff Tragikomödie, auch im Sinne von Herrn Woody Allen“ – Seitenblick, ob das nicht als zu große Anmaßung empfunden wird –, „das gefällt mir schon besser. Die Tragikomödie haben wir Schriftsteller einmal erfunden und das ist eine bleibende Form, noch.“
Tragikomödien zu schreiben ist die Lösung von intelligenten Menschen ohne Hoffnung, grundlegend etwas an den vorgefundenen Zusammenhängen ändern zu können. So hat man auch in schwierigen Verhältnissen wenigstens etwas zu lachen. Schade, dass man Bernd Cailloux’ Lachen im Medium Zeitung nicht angemessen vermitteln kann. Es klingt raumgreifend, aber nicht dröhnend, ein bisschen wie „Ach, mir kann keiner was vormachen“, zugleich aber auch ein bisschen selbstentschuldigend. Und manchmal denkt man, es klingt älter als Bernd Cailloux selbst, älter vielleicht sogar als die ganze Literatur, als würde die ganze Menschheitsgeschichte aus Erwartungen und Enttäuschungen mitschwingen.
Aber so pathetisch denkt man bei diesem Autor nur einen kurzen Moment lang.
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