: Mit der Kippa durch Berlin
Wie antisemitisch ist die Stadt? Um das herauszufinden, hat der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Nichtjuden aufgefordert, den „Kippa-Test“ zu machen. Ein taz-Redakteur ging mit der jüdischen Kopfbedeckung durch Neukölln und Lichtenberg
VON RICHARD ROTHER
„Du Jude!“ Zwei Worte, die Angst machen. Wenn sie so gesprochen werden wie gestern Mittag auf der Sonnenallee, Neukölln. Zwei arabische Jugendliche laufen auf dem Bürgersteig an mir vorbei, drehen sich um, und einer ruft mit aggressivem Ton: „Du Jude!“ Dann gehen sie weiter – ich bin nicht allein, ein groß gewachsener Kollege und ein Fotograf sind bei mir. Ich bin kein Jude, aber ich trage auf dem Kopf eine Kippa – die religiöse Kopfbedeckung der Juden. Ein Selbstversuch, der nicht ohne ist.
Gestern Morgen in der Redaktionskonferenz. Diskutiert wird der Vorschlag des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe. Er hat nach dem Brandanschlag auf einen jüdischen Kindergarten in Charlottenburg nichtjüdische Berliner aufgefordert, einmal die jüdische Kopfbedeckung oder einen Davidstern öffentlich zu tragen – um zu spüren, wie viel Antisemitismus es gebe. Wir entscheiden, den Test zu machen – in Neukölln und Lichtenberg. In Neukölln vermuten wir arabisch-moslemischen Antisemitismus, in Lichtenberg deutsch-rechtsextremen. Bedingung für den Versuch: Ein Kollege begleitet mich in gewissem Abstand, um im Notfall eingreifen und die Polizei rufen zu können. Hat jeder Berliner Jude einen alltäglichen Begleitschutz?
In Neukölln scheint dieser Schutz zunächst nicht nötig. Wir beginnen unsere Tour – die uns je eine Stunde durch die Sonnenallee und die Lichtenberger Weitlingstraße führt – im Warenhaus am Hermannplatz. Niemand nimmt eine Notiz von mir und meiner Kippa, die ich mir von einem Kollegen geliehen hatte.
An einer Bushaltestelle in der Sonnenallee ändert sich das. Zwar nimmt ein Großteil der Passanten mich überhaupt nicht wahr. Aber immer wieder ernte ich überraschte Blicke – von Frauen mit Kopftüchern oder arabisch-türkischen Männern. Offen sind diese Blicke nicht.
Ganz anders vor einem Café neben dem Eingang zur Moschee. Ein Mann bietet mir Kaffee an, fragt freundlich, ob ich Israeli sei. „Nein“, sage ich. „Nicht alle Juden sind Israelis, und nicht alle Israelis sind Juden.“ Er sei schon mehrfach nach Mekka gepilgert, erzählt er, bevor er wieder in seinen Laden geht.
Dann kommen die Jugendlichen. Sie gehen erst an mir vorbei, dann stoppt einer und ruft: „Du Jude!“ Ich bekomme einen Schreck, beruhige mich aber schnell wieder, weil die beiden weitergehen. Erst nach fünf Minuten traue ich mich, meinen Weg durch die Straße fortzusetzen. In einem türkischen Gemüseladen kaufe ich Bananen; der Junge an der Kasse erwidert mein Lächeln, seine Kopftuch tragende Mutter wirft mir einen finsteren Blick zu.
Schawarmageruch atmend, bekomme ich Hunger. An einem Falafelladen bleibe ich stehen, schaue durch das Fenster auf den Fleischspieß. Drinnen ein bärtiger junger Mann, der sich mit einem langen Messer an dem Spieß zu schaffen macht. Er schaut mich böse an. Ich kriege Angst – und gehe schnell weiter. Wenig freundlich auch die Blicke aus den nächsten Falafelläden. Weil sie alle voll sind, traue ich mich nicht rein. Durchatmen dann vor Rudis Reste Rampe. Ich entscheide mich, lieber zu McDonald’s am Hermannplatz zurückzugehen, weil es dort belebt ist. Müssen Neuköllner Juden immer Burger essen?
Auf dem Bahnhof Lichtenberg interessiert sich niemand für mich und meine Kippa. Auch die betrunkenen Deutschen in einer Bierbar im Keller der Station würdigen mich keines Blickes. Draußen in der Weitlingstraße, immerhin eine Hochburg der rechten Szene, eine ähnliche Situation: Kaum ein Passant nimmt Notiz von mir.
Dann kommen zwei junge Männer mit kurz geschorenen Haaren auf mich zu. „Jetzt muss mal was passieren“, brummel ich vor mich hin. Tatsächlich, sie schauen mich verwundert an – gehen aber wortlos an mir vorüber. Fünf Meter weiter dreht sich einer um und sagt, für mich kaum hörbar, zu seinem Begleiter: „Guck mal, ’n Jude.“
Durst bekommend, bleibe ich vor einer Kneipe stehen. Im Fenster wird für eine „Germanparty“ geworden – hier traue ich mich nicht rein. Beim Bäcker bekomme ich anstandslos eine Cola. Ich laufe noch eine halbe Stunden durch Lichtenberg: Zweimal begegnen mir Rechte, die sich nach mir umdrehen, aber nichts sagen. Sonst nichts.
Fazit des Versuches: In Neukölln habe ich mich stellenweise unsicher gefühlt, in Lichtenberg unwohl. In beide Gebiete würde ich mich mit einer Kippa auf dem Kopf abends oder in Nebenstraßen nicht trauen.
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