„Über 60? Dieser Kreis ist sehr klein“

Die Industrie muss sich auf alternde Belegschaften einstellen, sagt der Arbeitsmediziner Joachim Stork. Bei Audi gibt es ein Pilotprojekt: Der Sportwagen „Silver Line“ wird von älteren Arbeitnehmern gefertigt – mit längeren Taktzeiten

JOACHIM STORK, Jahrgang 1954, ist promovierter Arbeitsmediziner und seit 2001 Leiter des Gesundheitswesens der Audi AG in Ingolstadt. Auf der 47. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, die am heutigen Donnerstag in Mainz eröffnet wird, tritt er als Referent auf. Thema der Tagung: „Wie lange können wir gesund arbeiten? Wissenschaftliche Antworten der Arbeitsmedizin“.

taz: Herr Stork, wie viele über 50-Jährige wird Audi in Zukunft beschäftigen?

Joachim Stork: Wir haben eine Hochrechnung bis zum Jahre 2016 angestellt. Dann wird voraussichtlich über ein Drittel der Belegschaft bei Audi 50 Jahre und älter sein. Derzeit liegt der Anteil der über 50-Jährigen noch bei einem Fünftel.

Wird der Konzern die Fertigungsbedingungen altersgerecht anpassen?

Audi hat vor einiger Zeit ein Demografieprojekt gestartet, das die gesamte Belegschaft und die kommende veränderte Altersstruktur in den Fokus nimmt. Das fängt schon bei den jungen Mitarbeitern an. Dort versuchen wir, die Erwerbsbiografie lernförderlich zu gestalten. Die jungen Leute wechseln immer mal wieder den Standort und auch die Tätigkeiten, um auch noch nach Abschluss der Ausbildung neue Erfahrungen zu sammeln. Das kann beispielsweise ein Wechsel sein von einer Fahrzeugmontage bis hin zu einer Tätigkeit, wo es um die Steuerung einer computergestützten Fertigungsanlage geht. Das qualifiziert die Mitarbeiter für die späteren Jahre.

Wie werden Ältere dann bei Audi eingesetzt?

Bei Audi in Neckarsulm gibt es ein Pilotprojekt, die Fertigung des Audi R 8, eines Sportwagens, unsere „Silver Line“. Dazu haben wir gezielt Leute im Alter von um die 50 Jahre angesprochen. Die Produktion dieses Fahrzeuges ist dafür geeignet, weil es nur in kleinerer Stückzahl hergestellt wird und daher längere Taktzeiten hat. Die Taktzeit beträgt eine dreiviertel Stunde. In dieser Zeit erledigt ein Team dann beispielsweise die gesamte Innenraummontage von den Sitzen bis zu den Verkleidungen, den Himmel, die Innenleuchten und so weiter. Diese Aufgabe ist nicht so einseitig in der körperlichen Belastung, aber geistig ziemlich anspruchsvoll – also gut geeignet für erfahrene Mitarbeiter.

Wie viel Ältere arbeiten in der „Silver Line“?

Wir haben den Altersdurchschnitt durch unser Personalkonzept in der Fertigung des Audi R 8 von 29 auf 36 Jahre erhöht. Der Anteil der über 40-Jährigen liegt dort bei 46 Prozent – und das ist für die Automobilindustrie sehr viel. Diese Fertigung kann man aber nicht auf jeden Fahrzeugtyp übertragen. Wir müssen sehen, wie wir diese Erfahrungen anderswo einbringen können.

Die Rente mit 67 ist von der Politik geplant. Arbeiten bei Audi überhaupt Leute, die schon 60 Jahre oder älter sind?

Wir haben in der Produktion einige über 60-jährige Mitarbeiter. Nicht in den Fahrzeugmontagen, aber durchaus in den mechanisierten Bereichen. Dort, wo man automatisierte Anlagen bedient oder auch Teile hinterher einpackt, da haben wir Personen über 60. Aber dieser Kreis ist sehr klein.

Glauben Sie, dass es in Zukunft mehr Möglichkeiten gibt, auch über 60-Jährige einzusetzen?

Es wird uns sicher nicht gelingen, das für alle zu ermöglichen. Aber ich will Ihnen ein Beispiel nennen, wo wir Wege sehen. Durch eine höhere Komplexität der Fahrzeuge werden sich bestimmte Arbeitsvorgänge in die Vormontage verlagern. Nehmen wir zum Beispiel die Vorbereitungsarbeiten an der Mittelkonsole oder an der Innenleuchte – hier lassen sich auch Sitzarbeitsplätze einrichten. Da ist nicht das gesamte Fahrzeug in der Fertigung, sondern Baugruppen und Module. Wo die Greifwege nicht so weit und nicht so viele ausladende Bewegungen erforderlich sind, wo die Teile nicht so schwer sind – da könnte man auch ältere Mitarbeiter einsetzen.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es, die Arbeitsplätze altersgerecht zu gestalten?

Sinnvoll sind sicher Lebensarbeitszeitkonzepte, wo erfahrene Kollegen ihr Know-how in organisatorische Tätigkeiten, in die Anlagenbedienung einbringen, während die Jüngeren eher in der Fahrzeugmontage arbeiten.

Glauben Sie, dass es dann auch Überlegungen geben wird, die Älteren geringer zu entlohnen?

Die Tätigkeiten werden nicht geringer entlohnt, weil das Spektrum ja durchaus anspruchsvoll ist. Man könnte sich allerdings auch vorstellen, dass man bei gleicher Bezahlung und gleichem Arbeitsvolumen den Älteren mehr Arbeitszeit gibt, um ihre Aufgaben zu erledigen. Gerade die Anforderungen an Schnelligkeit macht ja Älteren durchaus Probleme.

Wäre es nicht sinnvoll, den Älteren dann echte Teilzeit anzubieten?

Wir denken bei Audi über eine eigene Altersteilzeit als Angebot an die Belegschaft nach. Bereits heute können zudem Audi-Mitarbeiter schon Vergütungsbestandteile auf einem „Zeitwertpapier“ verbuchen lassen. Diese Zeitwertpapiere können dann gegen Ende der Berufstätigkeit zum früheren Einsetzen einer Teilzeittätigkeit oder auch zum früheren Ausscheiden verwendet werden.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH