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Die Aufhübscher

Seit Jahresanfang leiten Matthias Ehlert und Michael Angele die „Netzeitung“. Durch die Online-Offensive von „Welt“ und Co. steht die Internetzeitung unter Druck. Und verkauft werden soll sie auch

VON MARTIN LANGEDER

Matthias Ehlert atmet tief durch. Die Frage war, wozu es seine „Netzeitung“ eigentlich braucht. Ein Standardanfang für ein Interview, einer, bei dem Chefredakteure erst einmal frei über ihre Wünsche und Visionen reden können. Doch Ehlert muss überlegen. Er sitzt im blauen Couchsessel seines Büros nahe der Berliner Friedrichstraße. Vor dem Fenster im zweiten Stock ruckelt alle paar Minuten die S-Bahn vorbei. Währenddessen überlegt Ehlert weiter. Auf dem Tonband sammelt sich eine halbe Minute Stille an, dann hat der 40-Jährige eine Antwort gefunden: „Nachrichten schlägt jeder um. Für mich gilt daher das Kioskprinzip. Es ist eine emotionale Entscheidung, welche Internetseite ich ansurfe.“

Seit Jahresanfang ist Matthias Ehlert im Tandem mit Michael Angele Chefredakteur von Deutschlands einziger Internettageszeitung. Eigentlich ausreichend Zeit, um sich über das Alleinstellungsmerkmal seines Produkts klar zu werden. Immerhin: Neben dem neuen Layout, das wohltuend aufgeräumt daherkommt, hat das Chefredakteursduo am „bislang zu einseitigen und mitunter etwas drögen“ Themenmix geschraubt. Das neue Schlagwort lautet: intelligenter Boulevard. Das heißt weniger Politik, dafür mehr Sport und Vermischtes auf der Startseite. In Klickzahlen lässt sich diese Umstellung zumindest nach der Nutzererhebung IVW nicht bemessen – die Netzeitung nimmt daran nicht teil. Ehlert selbst spricht von einer Steigerung von Dezember bis März um 40 Prozent.

Leicht hatte es die Netzeitung seit ihrer Gründung 2000 noch nie: Es fehlte immer ein zugkräftiger Printtitel im Rücken. Und seitdem die großen Verlagshäuser – von Süddeutscher Zeitung bis hin zur Welt – kräftig in ihre Online-Auftritte investieren, gerät die Netzeitung immer mehr ins Hintertreffen.

Im Großraumbüro hinter den halb geöffneten Jalousien des Chefzimmers kloppen laut Impressum 16 Redakteure und 12 freie Mitarbeiter eine Meldung nach der anderen in die Computer. Für die nach eigenen Angaben täglich bis zu 130 Artikel greifen die Netzeitung-Schreiber zum Großteil auf Agenturmaterial zurück, anders wäre der Output auch gar nicht zu bewerkstelligen. Allerdings stellt sich mehr denn je die Frage nach der publizistischen Sinnhaftigkeit. Schon 2004 kritisierte Stefan Niggemeier in der FAS die Netzeitung als „gewaltiges, leeres Versprechen“, in der ein „kleines Häufchen Journalisten hastig Meldungen aus oft ungenannten Quellen zusammenträgt“. Ein Frontalangriff, gegen den der damalige Chefredakteur Michael Maier sogar klagte. Der Prozess endete mit einem Vergleich.

Die Netzeitung als uneingelöstes Versprechen – daran wird auch der im Februar gestartete Relaunch kaum etwas ändern. Es fehlt einfach an Geld für den großen Wurf, und das dürfte auch unter einem neuen Besitzer kaum fließen. Schon seit längerem kursieren Verkaufsgerüchte. Noch gehört die Netzeitung zum norwegischen Verlagshaus Orkla Media. Als heißester Kandidat für die Übernahme gilt der Berliner Verlag, der wiederum zum Medienkonzern Mecom von David Montgomery gehört. Allein die 50-Prozent-Beteiligung der Netzeitung am Berliner Radiosender „MotorFM“ soll der Übernahme medienrechtlich noch im Weg stehen. Ehlert möchte die laufenden Verkaufsverhandlungen nicht kommentieren. Die Netzeitung für den bevorstehenden Verkauf aufzuhübschen, vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe der zwei Chefredakteure.

Kennen gelernt haben sich Ehlert und Angele bei den „Berliner Seiten“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Nach deren Einstellung werkelte Angele im Feuilleton der Netzeitung, nun ist ihm auch Ehlert nach Kurzauftritten bei Welt am Sonntag und Vanity Fair gefolgt. Auf die Frage, wozu es eigentlich zwei Chefredakteure brauche, zieht Matthias Ehlert gerne den Vergleich mit der Doppelspitze beim Stern.

Bereits mit ihrer ersten Amtshandlung machten sich Ehlert und Angele keine Freunde in der Redaktion: Ein Dutzend freie Mitarbeiter musste gehen. „Diese Entscheidung wurde vor unserem Antritt gefällt, wir mussten sie quasi als Erblast exekutieren“, verteidigen sie sich. Ein gern übernommenes Erbstück ist dagegen die vielfach gelobte Medienseiten-Umschau „Altpapier“. Nach ihrem Vorbild will die Netzeitung in Zukunft mit eigenproduziertem Multimedia-Content punkten. Anfang April ging Moderator Jürgen Kuttner mit seiner Videoschnippsel-Show an den Start. Die Bundesliga-Konferenz mit Live-Kommentaren vom „WM-Studio Mitte“ soll weitere Surfer zur Netzeitung lotsen.

Um ein ganz spezielles Angebot handelt es sich bei der Rubrik „Marktplatz“, die sich mit Links zu Lotto-Anbietern, Sofortkredit-Angeboten und zur Partnervermittlung weder grafisch noch farblich vom redaktionellen Inhalt abhebt. Und damit klar gegen den strengen redaktionellen Kodex verstößt. „Das ist eine Unsauberkeit, die wir demnächst lösen wollen“, beschwichtigt Ehlert. „Der mündige Leser wird aber ohnehin sofort erkennen, dass es sich dabei um kein redaktionelles Angebot handelt.“

Beim redaktionellen Angebot träumt Matthias Ehlert für die Zukunft von einem frecheren, spielerischen Umgang mit der Nachrichtenlage. Wie so etwas aussehen könnte, zeigen die launige Blattkritik-Diskussionsrunde zum Start von Vanity Fair oder die sechs Verhaltenshinweise für Angela Merkel bei ihrem Polenbesuch im März. Tipp Nummer eins lautet: Erkundigen Sie sich bei der Begrüßung von Premier Jarosław Kaczyński nach dem Wohlergehen seiner Katze.

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