Eier und Steine gegen den Premier

Ungarns Regierungschef bei Gedenkfeier für Faschistenopfer von Rechten angegriffen

WIEN taz ■ Mit Eiern und Steinen haben rechtsextreme Randalierer am Mittwochabend den ungarischen Premier Ferenc Gyurcsány bei einer Gedenkfeier für Faschistenopfer attackiert. Die Leibwächter versuchten die Geschosse mit Regenschirmen abzuwehren. An der „Friedenskette“ von rund 15.000 Menschen nahmen auch Delegationen der Roma-Selbstverwaltung und der jüdischen Gemeinde teil. Ihnen galten hasserfüllte Parolen wie „dreckige Juden“ und „Landesverräter“.

„Wer nur mit Eiern werfen kann, ist feige und kein Demokrat“, wetterte Gyurcsány, nachdem die Polizei die Randalierer einigermaßen abgedrängt hatte. Er sprach sich für ein „Ungarn der Liebe und des Verständnisses“ aus. Damit nahm er nicht nur auf das Gemetzel ungarischer Faschisten zwischen der Kettenbrücke und der Margaretenbrücke vor mehr als sechs Jahrzehnten Bezug. Wo immer der Ministerpräsident derzeit auftritt, sieht er sich als Ziel von Glatzköpfen und anderen rechtsradikalen Jugendlichen.

Oppositionsführer Viktor Orbán von der rechtspopulistischen Partei Fidesz geht zwar zu den Extremisten auf Distanz, lässt aber keine Gelegenheit aus, um den Rücktritt des Regierungschefs zu fordern. Seit der Enthüllung der sogenannten „Lügenrede“ im vergangenen September wird gegen Gyurcsány mobilisiert. In der parteiinternen Ansprache hatte der Premierminister zugegeben, das Volk im Wahlkampf über den beklagenswerten Zustand der Wirtschaft belogen zu haben. Das Thema ebenso schmerzhafter wie unumgänglicher Reformen war daher in der Wahlkampagne vollständig ausgespart worden.

Wie polarisiert die Stimmung in Ungarn derzeit ist, beweist auch die Schändung des Grabs von Ex-KP-Chef János Kádár in der vergangenen Woche. Der Metallsarg war aufgebrochen und der Schädel des 1989, kurz vor der politischen Wende, verstorbenen Staatsmanns gestohlen worden. „Für Mörder und Verräter ist kein Platz in der heiligen Erde“ hatte jemand auf das „Pantheon der Arbeiterbewegung“ unweit des Grabs gesprayt.

János Kádár war nach der Niederschlagung der Revolution von 1956 mehr als dreißig Jahre lang Chef der ungarischen kommunistischen Partei gewesen und wird für zahlreiche Erschießungen von Aufständischen und Dissidenten verantwortlich gemacht.

Die geraubten Überreste werden in einer Reisetasche vermutet, die die Polizei am vergangenen Mittwoch bei einer Razzia in der Wohnung rechtsextremer Verschwörer sicherstellte. Auf einen anonymen Hinweis hin hatte sie dort Sprengstoff und die Pläne für einen Anschlag gefunden. Drei Männer, unter ihnen ein bekannter Rechtsradikaler, wurden festgenommen.

RALF LEONHARD