: Sackzement Halleluja
Ich bin evangelisch erzogen, katholisch verheiratet und ungläubig. Ideal für den sonntäglichen Kirchgang
Ich frage mich wirklich, warum nicht mehr Leute am Sonntag in die Kirche gehen. Da steht einer vorne und hält eine mehr oder minder interessante Rede, da singt ein Chor mehr oder minder schön, es gibt zu essen und zu trinken, und wenn es einmal langweilig werden sollte, dann hängen an den Wänden viele bunte Bilder, über deren Betrachtung man die Zeit ein wenig vergisst. Viele Kirchen in Deutschland haben zudem ihre Anfangszeiten am Sonntagmorgen deutlich nach hinten verlegt und sind damit den Schlafgewohnheiten ihrer Kundschaft stark entgegen gekommen. Es gibt also keine gute Ausrede mehr, am Sonntag um 10.30 Uhr nicht in eine Kirche zu gehen. Einritt kostet es auch nicht! Und ungläubig sein? Das ist kein wirkliches Argument. Ich bin es auch und sitze dennoch häufig in der Kirchenbank.
Der liebe Gott sah für mich immer aus wie Großvater Ludwig: Er hatte einen grauen Vollbart, viele Falten im Gesicht und lächelte gütig. Als Kind kam mir das logisch vor, denn Großvater war schließlich das Sprachrohr des Herrn: Er war evangelischer Pfarrer in einem württembergischen Dorf. Weil ich meinen Großvater liebte, nahm ich mir vor, erst dann aus der Kirche auszutreten, wenn er gestorben ist. Großvater muss es geahnt haben, er wurde 101 Jahre alt.
Irgendwie steht Großvater auch heute noch hinter mir und mit ihm der lange Stammbaum, in dem es von evangelischen Pfarrern nur so wimmelte und der bis ins Jahr 1495 zu einem Weggefährten Martin Luthers reicht. Mit einem solchen Päckchen im Kreuz tritt man nicht leichtfertig aus der Kirche aus. Da bleibt man auch als Heide immer irgendwie evangelisch.
Viele evangelische Christen, so erzählte mir einmal kopfschüttelnd ein Oberkirchenrat, treten mit der Begründung aus der evangelischen Kirche aus, dass der Papst gegen Kondome sei. Das glaube ich sofort. Meine Begründung war immerhin glaubwürdiger. Nicht zu glauben ist doch glaubwürdig? Den Austritt hatte meine evangelische Verwandtschaft ja auch noch einigermaßen verkraftet. Aber die katholische Heirat und die katholische Taufe meines Sohnes war dann doch eine echte Herausforderung für sie. Meine Frau hatte darauf bestanden und ich war zu schwach, mich zu wehren. So wurde Henri der erste katholische Nachfahre eines Reformators. 500 Jahre Geschichte lasteten auf dem Familienfest.
Die Gemüter hatten sich im Lauf der Jahre beruhigt und ich grübelte seit Jahresbeginn, wie ich es ihnen schonend beibringen konnte, dass Henri nun demnächst in der katholischen Dorfkirche bei Pfarrer Tomas Begovic seine Kommunion feiern wird. Ich schickte ihnen ein Gedicht:
Henri, unser lieber Sohn feiert demnächst Kommunion und wird damit aufgenommen in den Kreis der wahren, frommen, Menschen, die man sonntags sieht, wie sie’s in die Kirche zieht. Dort erteilt von herrgottswegen Pfarrer Begovic den Segen, nimmt aus einem Heil’gen Schrein die Oblaten und den Wein. Unter seinen strengen Blicken beißen nur die Katholiken in die Hostie hinein. Was nicht sein darf, darf nicht sein! Denn nur wer den rechten Glauben hat, der darf sich das erlauben. Darum konnte in den Messen bisher nur die Mama essen. Papa Philipp und Henri schauten zu und durften nie. Ein Unrecht, das zum Himmel schreit, es endet nun für alle Zeit. Henri wird jetzt kommuniert kaut den Keks bald ungeniert. Nur den Vater schmerzt es seelisch, da im Herzen evangelisch.
Es wurde ein ganz schönes Fest. Die katholische Verwandtschaft saß etwas weiter vorne in der Kirche, die Evangelen in den hinteren Reihen, ich als Heide in der Mitte. „Sackzement Halleluja“, durchfuhr es mich, als ich die Oblate in den Mund schob, „das war jetzt frech, das hättest du eigentlich nicht tun dürfen.“
Philipp Mausshardt über KLATSCH
Fragen zur Kommunion? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried CHARTS
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