: Diktaturforscher mal wieder in der Krise
Am Dresdener Hannah-Arendt-Institut brodelt es erneut: Der umstrittene Direktor muss gehen – doch damit ist die Krise längst nicht passé. Für Unruhe sorgt ein Buch des berüchtigten Wissenschaftlers Lothar Fritze über „Die Moral des Bombenterrors“
AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH
Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT) in Dresden sahen dem geplanten Buch ihres Kollegen Lothar Fritze seit längerem mit Sorge entgegen. 1999 lösten dessen Zweifel an der moralischen Berechtigung des Elser-Attentats auf Hitler schon einmal eine schwere Krise des Instituts aus. Nun könnte das Buch „Die Moral des Bombenterrors“ des Privatdozenten erneut zur Unzeit erschienen sein.
Denn fast zeitgleich wurde der auslaufende Direktorenvertrag des Historikers Gerhard Besier nicht verlängert. Erstmals werden in der aktuellen Krise des Instituts aber auch strukturelle Probleme diskutiert. Am kommenden Montag berät das Kuratorium über den weiteren Weg.
Aus abstrakter moralphilosophischer Perspektive urteilt Fritze ähnlich wie sein britischer Kollege A. C. Grayling, die Alliierten des Zweiten Weltkrieges hätten sich auf einen begrenzten Verteidigungskrieg beschränken müssen. Churchill erscheint wegen seiner Flächenbombardements als ein wahrer Teufel, während der Autor vor der „Dämonisierung“ Hitlers warnt. Den bisherigen Common Sense des bundesdeutschen Geschichtsbildes schreibt er der „Umerziehung“ durch die Sieger zu. Am Schluss offenbart Fritze die aktuelle Stoßrichtung seines Buches. Es geht gegen den Weltmissionsanspruch, mit dem die USA in Analogie zum Zweiten Weltkrieg alle Mittel rechtfertigen wollten.
Der scheidende Direktor will sich nicht mehr zu Fritzes Buch äußern. Zu Ostern hatte das Kuratorium entschieden, Besiers Vertrag trotz einer positiven Evaluierung durch den wissenschaftlichen Beirat nicht zu verlängern. Nach Angaben der Kuratoriumschefin und CDU-Landtagsabgeordneten Friederike de Haas war ein Brief der Mehrheit der Mitarbeiter dafür aber nicht maßgeblich. Darin werden Besiers Kontakte und angebliche Sympathien für Scientology angeprangert. Das HAIT sei nicht gegründet worden, „um als Manövriermasse im egozentrischen Kampf dezidierter Apologeten von Scientology missbraucht zu werden“, heißt es darin.
Der oft polternd und taktisch unklug operierende Direktor räumt ein, dass seine Ansprache in einem Brüsseler Scientology-Büro 2003 „töricht“ gewesen sei. Gegen die „Verschwörungstheorie“ will er sich aber juristisch zur Wehr setzen. Für Besier ist vielmehr ein „Geburtsfehler“ des Instituts für seine faktische Absetzung maßgeblich. 1991 hatte der Sächsische Landtag mit großer Mehrheit die Gründung des HAIT beschlossen. Politikberatende und volkspädagogische Absichten spielten kurz nach der Wende ebenso eine Rolle wie die Munitionierung gegen die sich hartnäckig haltende PDS. Entsprechend stark ist der Durchgriff der Politik über Trägerverein und Kuratorium angelegt. Er entspricht den politischen Kräfteverhältnissen in Sachsen, wo die CDU bis 2004 allein regierte.
Weil das Institut einem eigentlich schon bei seiner Gründung überholten Totalitarismusbegriff folgt, wurde es außerdem von der Fachwelt argwöhnisch beobachtet. „Wenn ich etwas Unliebsames gesagt habe, riefen das Ministerium, Kuratoriumsmitglieder oder Abgeordnete ihre CDU-Gewährsleute im Institut an“, berichtet Besier. Das Plädoyer für einen Stasi-Schlussstrich oder gegen eine konfessionelle Erziehung im Kindergarten waren solche Unliebsamkeiten. Die Kuratoriumschefin de Haas bestreitet jede politische Einflussnahme.
„Die Strukturen des HAIT sind nicht tragfähig“, urteilt hingegen Staatssekretär Knut Nevermann (SPD) vom sächsischen Wissenschaftsministerium. „Wissenschaft muss von Wissenschaft kontrolliert werden.“ Umstritten ist auch die inhaltliche Ausrichtung. Besier habe sich dafür eingesetzt, das Institut „aus einer Verengung auf den deutschen Diktaturenvergleich herauszuführen und auf europäisch vergleichende Fragestellungen hin zu öffnen“, lobt etwa Martin Sabrow, Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF). Nun soll es sich nach verbreiteter CDU-Auffassung wieder auf seine „Kernkompetenzen“ ausrichten.
Als Besier-Nachfolger ist der unionsnahe, aus Passau stammende Politologe Werner Patzelt im Gespräch, der bislang an der TU Dresden lehrt. Ihm werden, so Stimmen an der Universität, die nötigen integrativen Fähigkeiten aber kaum zugetraut. An der wenig interdisziplinären Zusammensetzung der Mitarbeiter, unter denen fast ausschließlich Historiker zu finden sind, würde auch die CDU gern etwas ändern. Aber die Wissenschaftler sind mit wenigen Ausnahmen unbefristet angestellt.
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