: „Härter ging es nicht“
Timo Boll will endlich eine Einzelmedaille bei einer Tischtennis-WM gewinnen. Gemeinsam mit den besten Europäern hat er sich auf den Kampf gegen die schier übermächtigen Asiaten vorbereitet
AUS ZAGREB SEBASTIAN KRASS
Es klingt wie ein Naturgesetz, so oft hat man die Geschichte schon gehört: Ein Leistungssportler bereitet sich mit voller Konzentration auf ein großes Turnier vor, dann ist es irgendwann vorbei, und der Sportler macht plumps – plötzlich sitzt er drin im tiefen Loch, dem Loch der ausgeschöpften Eigenmotivation. Dann braucht es seine Zeit, bis er herausgekrabbelt ist und sich mit Elan auf neue Aufgaben stürzen kann. Auch Timo Boll hat seine Erfahrungen mit diesem Naturgesetz gemacht. „2003 etwa habe ich eine gute Europameisterschaft gespielt“, sagt Deutschlands bester Tischtennisspieler. Bei der WM sechs Wochen später schied er als Weltranglistenerster in der zweiten Runde aus. „Es fiel mir nach der Europameisterschaft schwer, mich im Training zu motivieren. Es ist nicht so einfach, zwei Höhepunkte in ein paar Wochen zu haben.“
Man könnte über den unsinnigen Terminplan im Tischtennis lamentieren. Auch dieses Jahr ist die Europameisterschaft erst zwei Monate her, und nun beginnt an diesem Dienstag die Hauptrunde der Welttitelkämpfe in Zagreb. Doch das wären für Boll nur wohlfeile Ausreden. Die Sportler müssen sich ihren Weg durch den Termindschungel bahnen. Die etwas Schlechteren legen besonderen Wert auf eine EM, weil sie bei einer WM ohnehin keine Chance haben. Ein etwas Besserer, Timo Boll nämlich, hat die kontinentalen Meisterschaften für sich diesmal als Durchgangsstation definiert und versucht, das Naturgesetz zu umgehen. Dass Boll die EM mit drei Titeln abschloss, war gut und schön. Seinem Renommee indes hilft es nur in begrenztem Maße weiter.
Mit 26 Jahren hat er in seinem Sport schon beinahe alles erreicht. Nur die wichtigsten Auszeichnungen fehlen ihm noch: Einzel-Medaillen bei WM und Olympischen Spielen. Sie könnten ihm einen ordentlichen Popularitätsschub verschaffen. Deshalb galt in dieser Saison alle Konzentration der Weltmeisterschaft. „Ich habe nach der EM fünf Tage freigemacht und seitdem knallhart trainiert. Besser und härter wäre es nicht gegangen. Diesmal ist es mir viel leichter gefallen, die Motivation aufrechtzuerhalten“, sagt er.
Diesmal haben sich vor der WM auch die europäischen Spitzenspieler zusammengetan. Männer-Bundestrainer Richard Prause hat Spieler wie Wladimir Samsonow (Weißrussland), Bolls Finalgegner bei der Europameisterschaft, und den Österreicher Werner Schlager, der 2003 den Weltmeistertitel errungen hat, überzeugt, Boll zu besuchen. „Die Chinesen mit ihrem Wahnsinnskader haben im Training immer höchstes Niveau. Wir Europäer müssen uns ein bisschen gegenseitig helfen“, so Boll. Geheimnisse habe man ohnehin nicht voreinander. „Und die profitieren ja auch davon, mit mir zu trainieren.“
Die Vorzeichen also sind gut. Bolls Saisonplanung scheint wohl durchdacht. Die EM hat ihm noch eine ordentliche Portion Selbstvertrauen gebracht. Zudem ist der Weltranglistendritte nicht nur gesund, sondern hat auch große Fortschritte in der Athletik gemacht.
Aber all das muss nicht viel heißen, angesichts der drei besten Chinesen, der Nummern eins, zwei und vier der Weltrangliste, angesichts der kaum weniger starken zweiten Garde und angesichts all der anderen Asiaten. Boll selbst sagt: „Ich muss erst einmal so weit kommen, gegen die Chinesen zu spielen. Wenn ich das schaffe, bin ich auf einem guten Weg. Wenn mir nur zwei Prozent fehlen, wird es nicht klappen.“ Die Auslosung hat ergeben, dass er erst im Viertelfinale auf einen starken Asiaten treffen würde, voraussichtlich einen Südkoreaner, gegen den Boll eine positive Bilanz hat. Läuft alles nach Plan, wäre Titelverteidiger Wang Liqin (China) sein Gegner im Halbfinale. Dann aber hätte Boll auch schon eine Medaille sicher.
Bundestrainer Prause versucht fast schon verzweifelt, den Druck der Erwartungen zu mildern. Es sei schließlich erst die dritte Weltmeisterschaft, bei der Boll eine realistische Chance auf eine Einzelmedaille habe. Und überhaupt: „Man sollte seine Karriere erst beurteilen, wenn sie rum ist.“ Boll selbst gibt sich offensiver: „Ich möchte eine Einzelmedaille gewinnen, nichts wünsche ich mir mehr. So entsteht natürlich ein großer Eigendruck.“ Aber er vermittelt das Gefühl, diesem besser gewachsen zu sein als etwa 2003. Boll ist in den vergangenen zwei Jahren enorm gereift. Präsentiert er sich in der Öffentlichkeit, dann ist da nicht mehr viel zu spüren von der Verzagtheit der Anfangstage. Was jetzt noch fehlt, sind die großen Medaillen.
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