: „Mein Leitfaden war Egoismus“
VON WOLFGANG ULLRICH
„Ich träumte davon, in der Zeitung zu stehen.“ – Auf einem der bekanntesten Bilder Jörg Immendorffs steht dieser Satz, und seit 1972, als das Bild entstand, hat sich dieser Traum oft erfüllt, wenngleich nicht immer so, wie das einmal gemeint war. Zumal gegen Ende seines Lebens waren es Kokain, seine junge Frau und vor allem seine Krankheit, weshalb Immendorff häufiger in die Zeitungen kam als jeder andere deutsche Künstler; sein Werk hingegen trat gegenüber der Person in den Hintergrund. Das ist nicht ganz gerecht, obwohl sich beides bei Immendorff nicht voneinander trennen lässt. So war auch jenes Bild von 1972 Teil eines Projekts, bei dem er unter dem Titel „Hier und jetzt: Das tun, was zu tun ist“ seine eigene Person zum Gegenstand machte. Dabei unterzog er sich einer harten Analyse, ja machte sich – er war damals Maoist – selbst eine Art von Schauprozess.
Im Alter von 27 (Immendorff wurde 1945 in Bleckede geboren) malte er sich also retrospektiv als 17-Jährigen, der auf einem Dachboden haust, weil er Außenseiter der Gesellschaft sein will; er pinselt vor sich hin, doch lenken ihn seine Künstlerruhm-Fantasien immer wieder davon ab. Der Mond, der durch die Luke scheint, und eine Kerze sind die beiden einzigen Lichter, was die romantischen Quellen offenbart, denen der junge Künstler ausgesetzt ist. Es gibt kaum ein anderes Werk der neueren Kunstgeschichte, in dem der bürgerliche Kunstbegriff so deutlich und so schön decouvriert wird. Dennoch wirkt die Kritik nicht aggressiv oder böse. Dazu ist sie zu comicartig, vor allem aber ist sie Selbstkritik und als solche erstaunlich ehrlich: „Mein Leitfaden war der Egoismus“, heißt es auf demselben Bild. Auf anderen Blättern zitiert Immendorff Mao und bekennt sich zu dessen Auffassung, der Künstler habe als ein „Rädchen und Schräubchen“ im Kollektiv der Arbeitenden aufzugehen (und gerade kein Außenseiter zu sein).
An individuellen Ruhm darf er nicht denken, und von Zeitungen kann er nur insofern träumen, als er die Massen über agitierende Beiträge in Wandzeitungen erreichen soll. Tatsächlich ist die Kombination von Bild und Text, die Immendorff wählte, dem Vorbild solcher Zeitungen zu verdanken: Indem sich beides wechselseitig erläutert und bestätigt, soll ein Maximum an Verständlichkeit entstehen.
Wer Ironie in Immendorffs Projekt vermuten will, sollte bedenken, dass der Künstler zur selben Zeit als Hauptschullehrer in Düsseldorf arbeitete und insofern Ernst mit dem Anspruch machte, Teil der Gesellschaft zu sein und seine Fähigkeiten in den Dienst anderer zu stellen. Hier mochte auch Beuys’ Lehre von der „sozialen Plastik“ nachwirken, die Immendorff als Student an der Düsseldorfer Akademie vermittelt bekommen hatte. „Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?“, ein weiteres Gemälde der frühen Siebziger, besitzt die Botschaft, dass ein Künstler sich nicht über die Kunstströmungen der jüngeren Vergangenheit Gedanken machen, sondern auf die Straße gehen und für die Demonstranten die Transparente malen soll, mit denen protestiert oder proklamiert wird. „Hört auf zu malen“ appellierte Immendorff, natürlich in Form eines Bilds, an seine Kollegen. Und schon bei einer seiner ersten Ausstellungen, 1966, nutzte er die Einladungskarte, um seine Kritik am Vietnamkrieg zu äußern. Doch selbst das erschien ihm einige Jahre später zu kokett, da auch sein Name auf der Karte gestanden hatte: Im Ergebnis war „nicht der Vietnamkrieg das Entscheidende, sondern meine Person“.
Richtig berühmt wurde Immendorff mit seiner 1978 begonnenen Serie der „Café Deutschland“-Bilder. Die Bildsprache nähert sich hier noch mehr dem Comic an, doch die Aussagen sind nicht mehr so einfach zu dechiffrieren. Insofern kehrte Immendorff mit diesen Bildern auch auf das Terrain der „hohen“ Kunst zurück, von der ja gewisse Rätselhaftigkeit erwartet wird. Der Zyklus hat die deutsche Teilung zum Thema; man sieht jeweils das Café als Mischung aus Kneipe, Kino und Parlament, darin wechselndes Personal. Auf einem der Bilder sitzen im Vordergrund, an einem runden Tisch, Immendorff selbst sowie ein Kollege ostdeutscher Herkunft, nämlich A. R. Penck. Gemeinsam malen sie an einem Bild, das eine Öffnung in einem Zaun und so die Utopie aufgehobener Grenzen zeigt. So sind es dann die Künstler, die, dank ihrer Illusionskraft, die Überwindung der deutschen Teilung vorbereiten. Unter ihnen herrscht bereits Frieden, während sich im Hintergrund Füchse in den deutschen Farben gegenseitig anfauchen; Geheimdienste hören Tonbänder ab, ein Mann ist hinter Stacheldraht gefangen.
Blieb Immendorff hier der Idee treu, Kunst müsse gesellschaftsbezogen sein, so verfiel er andererseits doch wieder einem romantischen Gedanken, indem er den Künstler als Helden der Revolution, als Motor der Geschichte, als Visionär in Szene setzte. Auch sonst gelang es ihm nicht, von jenem Künstlerbild Abschied zu nehmen, das er selbst so heftig missbilligte. Der Egoismus blieb sein Leitfaden, und in seinem späteren Werk taucht nichts so oft auf wie er selbst, in verschiedenen – jeweils traditionellen – Künstlerrollen, mal als Genie, mal als Bürgerschreck, mal als Melancholiker.
Natürlich liegt es dann nahe, zwischen dem Künstler im Bild und dem Künstler als realer Figur zu vergleichen oder beides in eins zu setzen. Immendorff sträubte sich auch nicht dagegen, er ließ sich in den Neunzigern sogar mehrmals für Werbeauftritte engagieren: Der Künstler als Inbegriff des unangepassten Individualisten peppt Images auf. Für die FAZ war er einer der klugen Köpfe – und war es in diesem Fall tatsächlich, gelang es ihm doch, dass den größten Teil der Anzeigenfläche eines seiner Gemälde einnimmt. So konnte er kostenlos für seine Malerei werben. Auch sonst nutzte Immendorff Werbeanzeigen zur Darstellung seiner selbst, da er ähnliche Ikonografien durchsetzte, wie er sie auf seinen Gemälden pflegte.
In den letzten Jahren war jedoch die Bild-Zeitung das Medium, das am meisten über Immendorff berichtete. Im Jahr 2000 malte er den Bild-Lesern sogar ein Bild, das auf einer ganzen Seite reproduziert wurde. Da war er wieder der Künstler, der alle an seinem Können teilhaben ließ – und natürlich einmal mehr der Star, der er schon mit 17 sein wollte. Solche Ausbrüche aus dem elitären Kunstbetrieb unterschieden ihn von seinen berühmteren Kollegen: Weder Baselitz noch Richter noch Polke könnte man sich in einer solchen Rolle denken.
Dafür gewann Immendorff die Sympathie von Kanzler Schröder. Der nahm ihn sogar zu Staatsbesuchen mit. Immendorff revanchierte sich für diese Gunst, als er Schröder im Frühjahr 2004 für das Cover der Zeitschrift Cicero porträtierte und ihm dabei für sein Verhalten im Irakkrieg huldigte. Doch man sah dem Bild an, dass es unter Mühen entstanden war: Immendorff war zu diesem Zeitpunkt bereits teilweise gelähmt, die amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine Muskelschwäche, war nicht mehr zu verleugnen.
Dennoch durfte er auch noch das offizielle Gemälde Schröders für die Kanzlergalerie malen. Die Übergabe im März 2007 war das letzte große Medienereignis für Immendorff – und zugleich der letzte kleine Skandal: Dass der Kanzler ganz in Gold und zudem in ovaler Amulettform dargestellt ist, erschien manchen als unangemessene Heiligsprechung. Der Tod des 61-Jährigen, sein Herzstillstand am Morgen des Pfingstmontag in seinem Düsseldorfer Haus, wird aber nicht nur Gerhard Schröder traurig stimmen. Die Kunstwelt hat einen ihrer vielseitigsten und intelligentesten Protagonisten verloren, der gezeigt hat, dass man gerade in seinen Widersprüchen besonders produktiv sein kann.
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