Der Schrei nach Datenbank

Wie eBay vor langer Zeit und lange vor eBay bereits einmal erfunden wurde

Das gibt einen Riesenreibach! Und einen Riesenakt, das zu programmieren!

Wenn ich meinen Kumpel Uli, den alten Computerfex, richtig verstanden habe, dann hat er zusammen mit einem Freund eBay erfunden. Genau. Vor vielen, vielen Jahren, sagt Uli, habe er die Sache zusammen mit dem Kollegen Markus ausbaldowert und im Grunde klargemacht. Dafür gebe es Beweise, sagt Uli, sie hätten ihre Überlegungen damals auf Tonband aufgenommen, die Kassette liege beim ihm zu Hause rum, wenn ich wolle, könne ich mir das anhören, er flunkere nicht. „Da ist das ganze Konzept drauf!“, sagt Uli, und ich nicke – vorsorglich.

Zwei Wochen später hielt ich eine Kassette in der Hand, ein vermutlich kostbares Dokument der – unterdrückten – Technikgeschichte. Und schon nach wenigen Sekunden staunte ich nicht schlecht. „Wir haben natürlich ein eigenes Rubrikensystem, das natürlich hierarchisch sortiert ist, damit man schnell zu seinen Informationen kommt“, hob der Vortrag an, und ich nickte. Logisch. Rubrikensystem. Das leuchtete ein.

Ohne Punkt und Komma ging es weiter: „Und ich werde ein portierbares System entwickeln, das aus den vorhandenen Newsgroups ein Sammelsurium erstellt, dass zum Beispiel in der Newsgroup de.flea.ger, wo normalerweise Hardware und Software vertickert werden, manchmal aber auch ’ne Wohnungsannonce drin ist, dass die bei uns in unserem System unter der Rubrik ‚Wohnung‘ einsortiert wird, wobei natürlich ‚Verkaufe ATI-Graphikkarte‘ bei uns unter ‚Verkaufe Computerartikel/-Graphikkarte‘ einsortiert wird.“

Ein schön sortiertes Sammelsurium aus Wohnungen, Graphikkarten und portierbaren Systemen, dachte ich, wurde aber sogleich vom nächsten Statement überrumpelt: „Das gibt einen Riesenreibach! Und einen Riesenakt, das zu programmieren! Aber es wird klappen!“

Vor das Millionärsleben hat Gott den genialen Einfall und die Arbeit gesetzt, und die beginnt in der Internetwelt mit der Startseite. „Startseite – da kommt jeder hin.“ Eben. Und was sieht dann jeder da? „Da sieht er das große Reich inklusive Polen.“ Hm. Na gut. Also, „was natürlich schwierig ist, ist natürlich eine Bereichsbegrenzung, das ist dann klar“, offenbar eine Reichsgrenzziehung auf diesem oder für dieses Portal, aber egal, „eine Bereichsbegrenzung ist schwierig für die Newsgroup-News, aber für die eingetragenen von den Kunden nicht, die können ja angeben, wo sie wohnen“, im großen Reich oder wo, und die Sache ist im Sack. Ich war mittlerweile fasziniert, ja berauscht von diesem mir völlig unverständlichen Dialog. „Du kommst auf die Startseite“, hämmerte es weiter vor sich hin, „und klickst dich da weiter in das Regionalgebiet in der Region, da hast du dann verschiedene Rubriken. Das hast du für jede Region. Richtig. Das schreit schon nach Datenbank! Wohnen, Computer, Auto, Technik, Hobby und Sonstiges. Sammeln, Ü-Ei und so ein Scheißdreck. Das geht wie Sau!“

Das war sie also – die Welt, in der wir heute leben, von zwei kreglen Informatikern vor weit mehr als zehn Jahren entworfen, irgendwie jedenfalls. Von „sechzehn Werbeträgern“ pro Page hörte ich’s reden, „sechzehn Mal die einzelnen Rubriken, mal, was weiß ich, drei, vier Banner“ und so weiter, man müsse zwar „ein Jahr lang ackern“ wie Willi, doch dann sei „das ganze System refinanziert“, was heißt beziehungsweise hieß: „Von der Grundidee her bin ich sehr begeistert, dass wir einen kostenlosen Service anbieten, der durch die Werbung dich und mich finanziert.“

Damit war das Ende der Fahnenstange allerdings noch längst nicht erreicht. Uli und Markus hatten über die totale Refinanzierung hinaus eine an Brechts Theorie des Medienrezipienten als -produzenten geschulte Überlegung in petto: „Dann kannst du aber auch hergehen und kannst sagen: ‚Er sucht sie‘, ‚Sie sucht sie‘, das sollen die Leute selber machen. Das ist das Schöne, dann macht man das so dynamisch, dass die Leute selbst Rubriken erstellen.“

Das war, die eBay-Geschichte sogar übertrumpfend, das Konzept des Chatrooms in nuce, begriff jetzt selbst ich, und im Geiste zog ich hundert Hüte, denn die beiden hatten an alles, ergo auch daran gedacht, dem Missbrauch ihrer revolutionären Vorstellungen vorzubeugen. „Jetzt müsste man nur noch ein System einführen“, ich lauschte gebannt, ja verhext, „damit nicht Schmuggler ihren Scheißdreck eingeben, die nicht richtig in die Kategorie eingetragen sind.“

Nun kam ein hochkomplexes E-Mail-Response-System oder Ähnliches ins Spiel, das heißt die „Grundtatsache“ der „Engine“ und eines „Blackboards“, nämlich „dass ausgewählt wird, was eingedruckt wird, was programmiert werden muss“. Mensch Meier! „Das ist genial!“, fuhren die Stimmen der beiden in die Höhe, und ich nickte abermals und nahm weitere Sensationen zur Kenntnis, das Projekt der „Implementation des Ü-Eier-Kataloges“ und andere „Highlights“ mehr.

Erleuchtet drückte ich die Stopptaste. Warum am Ende dann doch jemand anders eBay und den restlichen Scheißdreck erfunden hat, kann ich aber leider nicht sagen. JÜRGEN ROTH