: „Der Wirt führt“
GÄSTE Billy Wagner ist ein gefeierter Sommelier und eröffnet bald sein eigenes Restaurant. Was einen guten Gastgeber ausmacht und warum er nicht jeden Wunsch erfüllen darf
■ 32, wurde als Sommelier des Berliner Rutz bekannt und mit seiner Werbung für Naturweine ein Popstar der Szene. Er bereitet gerade die Eröffnung eines eigenen Restaurants vor.
INTERVIEW JÖRN KABISCH
Billy Wagner hat sich eine Kaffeemühle unter den Arm geklemmt und kurbelt. Er macht so einen Krach, dass man ihn kaum versteht. Wir sitzen in der Küche seiner WG in Kreuzberg. Zu unserem Gespräch serviert er Filterkaffee und ionisiertes Wasser, später kommt auch Wein dazu: ein Mosel Kabinett von Dirk Niepoort und Philipp Kettern.
sonntaz: Herr Wagner, Sie nennen sich Sommelier und Wirt. Warum Wirt?
Billy Wagner: Es gibt da diesen Witz: Was ist der Unterschied zwischen einem Wirtshaus und einem Gasthaus? Im Gasthaus ist der Gast König, im Wirtshaus der Wirt. Deshalb bin ich Wirt.
Und die Gäste sind Ihnen egal?
Nein, natürlich nicht. Aber dieser Witz beschreibt das Spannungsfeld sehr gut, in dem man sich als Gastronom befindet. Ich halte gute Gastgeberschaft für eine Kunst. Im Restaurant ist sie oft wichtiger als das Essen selbst.
Wichter als gutes Essen – meinen Sie das ernst?
Gutes Essen bekommst du häufig, aber einen aufmerksamen Service, einen, der dich wahrnimmt, dich führt: sehr selten. Der Gast verzeiht eher, wenn ein Essen nicht ganz gelungen war. Aber schlechte Erlebnisse mit dem Service – daran erinnert man sich manchmal noch jahrelang, selbst wenn das Essen absolut perfekt war. Außerdem kann eine unfreundliche Bedienung die Stimmung trüben. Und dann schmeckt auch das Essen nicht.
Haben Sie so etwas schon erlebt?
Oft. Zum Beispiel in einem großen Sterne-Restaurant in New York. Da werden jeden Abend um die 180 Menüs ausgegeben. Als Gast bist du da nur eine Nummer. Die Bedienung ist zwar sehr qualifiziert und der Servicestandard eigentlich extrem hoch – aber es fühlt sich trotzdem an, als sei man bei McDonald’s. Das liegt daran, dass in solchen Häusern viele Prozesse standardisiert sind, damit bestimmte Fehler nicht passieren. Aber dieses standardisierte Sprechen und Handeln ist auch ein Problem. Es gibt keine Individualität.
Was macht gute Gastgeberschaft dann aus?
Einer meiner Freunde war mal in einer Runde von acht Leuten essen. Am Nebentisch wurde ein Gang serviert, der wahnsinnig gut aussah, den aber niemand am eigenen Tisch bestellt hatte. Alle acht aßen die Teller der Nachbarn mit den Augen auf. Und ohne dass ein weiteres Wort fiel, bekamen sie fünfzehn Minuten später auch diesen Gang serviert. Der Restaurantleiter hatte sie beobachtet.
Sehr aufmerksam.
Ja. Aber das ist es nicht nur. Gute Gastgeberschaft im Restaurant ist eine Balance zwischen Regel und Ausnahme.
Was heißt das konkret?
In vielen Sternehäusern ist der Servicegedanke sehr wichtig. Das kann dazu führen, dass man dem Gast zu viel durchlässt. Etwa, wenn um 14.30 Uhr noch Mittagsgäste angenommen werden. Die sitzen dann bis 17 Uhr, aber um 18 Uhr müssen Küche und Kellner schon für den Abendservice bereit sein. Wenn man nicht aufpasst, fängt das Personal um 10 Uhr an und hat bis zum Ende der Schicht nur eine Zigarettenpause. Deshalb ist es wichtig, dem Gast auch Grenzen zu setzen. Sie müssen aber variabel sein. Wer immer alles möglich macht, nimmt sich selbst nicht ernst. Und das merken die Gäste.
Als Sommelier haben Sie am Tisch Wein empfohlen. Wird man da auch zum Gastgeber?
Bei mir war das so. Über das Thema hat man einen starken Bezug zu den Gästen.
Sie eröffnen jetzt selbst ein Restaurant: Die Küche soll im Gastraum sein, Sie kochen ausschließlich mit lokalen und saisonalen Zutaten. Und nach dem Essen wird es nur Filterkaffee geben und keinen Espresso … Warum das?
Ich will den Gast nicht reglementieren, sondern ihm das Beste bieten. Nur weil ihm vielleicht auch ein schlechter Espresso reicht oder er ihn nicht von einem guten unterscheiden kann, muss ich das ja nicht so sehen. In einem kleinen Restaurant kann ein Espresso nicht so gut werden wie in einem High-End-Coffeeshop, wo die Espressomaschine dauernd läuft. Dafür kann ich perfekten Filterkaffee anbieten.
Trotzdem fühlt man sich in der individualisierten Gastronomie manchmal eingeschränkt. Zum Beispiel, wenn man einen Tisch nur um 18 Uhr und um 21.30 Uhr bekommt.
Manchmal ist tatsächlich zu wenig möglich. Die Frage ist: Wo zieht man die Linie? Ich sehe es als Service an, auch mal Nein zu sagen. Das Fleisch braten wir zum Beispiel nicht durch, auch wenn es der Gast wünscht. Als Wirt muss man den Gast auch führen.
Und das wird der Wirt Wagner machen?
Ein echter österreichischer Wirt, der tut alles für seine Gäste. Trotzdem ist er der Chef im Ring. Das sollte auch gelten, wenn man nach Hause einlädt: Der Gastgeber führt, der Gast lehnt sich zurück und genießt.
■ Die Essecke: Jörn Kabisch befragt auf dieser Seite jeden Monat Praktiker des Kochens. Außerdem im Wechsel: unsere Korrespondenten, die erzählen, was man in ihren Ländern auf der Straße isst, Philipp Maußhardt über vergessene Rezepte und Sarah Wiener, die aus einer Zutat drei Gerichte komponiert