: Drogenabhängigkeit als Lebensstil
Im Untersuchungsausschuss „Kevin“ fordern Zeugen eine stärkere Kontrolle von drogenabhängigen Eltern
Einen Haltungswandel im Umgang mit drogenabhängigen Eltern forderte gestern der Leiter des Gesundheitsamtes, Jochen Zenker. „Drogenabhängigkeit und Elternschaft schließen sich aus, es sei denn, jemand beweist das Gegenteil“, sagte Zenker im Untersuchungsausschuss „Kevin“. Bisher liege die Beweislast beim Jugendamt – obwohl eine 2005 in Kraft getretene fachliche Weisung eigentlich das Gegenteil impliziere. Nach dieser dürften drogenabhängigen Schwangeren Hilfsangebote nur unter der Voraussetzung gewährt werden, dass sie ihre Erziehungsfähigkeit regelmäßig kontrollieren ließen.
„Leider sehen das einige im Jugendamt und in der Drogenhilfe anders“, kritisierte Zenker. Viele Sozialarbeiter würden eine Kontrolle der Eltern ablehnen, um ein Vertrauensverhältnis nicht zu gefährden. „Wenn es um Kinder geht, geht das nicht“, so Zenker. Er forderte außerdem, sein Amt finanziell so auszustatten, dass genügend Familien-Hebammen und Kinderkrankenschwestern eingestellt werden können, um in Problemstadtteilen jede Familie mit Neugeborenen und Kleinkindern besuchen zu können.
Ein weiteres Thema war die Substitutierung von Drogenabhängigen mit Methadon. Zenker appellierte an Krankenkassen und Politik, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Schwer- und Mehrfachabhängige in Ambulanzen behandelt werden können. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Abhängigen neben den Medikamenten auch die notwendige psychosoziale Begleitung bekämen. Niedergelassene Ärzte seien mit der Behandlung dieser Zielgruppe von Substituierten überfordert – darin war sich Zenker mit Gert Schöfer, Leiter der Suchtkrankenhilfe bei der Sozialsenatorin einig. Schöfer wies auf die Gefahr hin, dass niedergelassene Ärzte sich in eine Elternrolle gegenüber ihren Patienten begeben und den Blick dafür verlieren, wann diese weniger Verständnis als Kontrolle bräuchten. Dies ist offenbar auch dem Methadon-Arzt von Kevins Eltern passiert, der selbst eine zu enge Beziehung zu Kevins Ziehvater eingeräumt hatte. Dieser soll das Kind zu Tode misshandelt haben.
Dem Arzt wurde mittlerweile von der kassenärztlichen Vereinigung die Erlaubnis zur Substituierung entzogen. Deren Vertreter Till Spiro beklagte gestern, dass viele Ärzte und andere Teile der Gesellschaft das Ziel absoluter Drogenfreiheit aus den Augen verlören. „Die betrachten Drogenabhängigkeit als alternativen Lebensstil.“ Eiken Bruhn