Sturmflutartige Klangwellen

Dreiecksbeziehungen, die im Mord aus Eifersucht enden: Was die Bremer Philharmoniker unter dem Motto „Poetische Szenen“ im Konzerthaus boten – Werke von Ravel, Schönberg und Chausson – war keineswegs idyllisch und auch technisch nicht immer perfekt

Die Bremer Philharmoniker, ehemals das Philharmonische Staatsorchester Bremen, locken schon seit Jahren mit vielseitigen, interessanten Programmen und mit hohem musikalischem Niveau ins Bremer Konzerthaus „Glocke“. Lange Zeit als die eher provinzielle Alternative zur Deutschen Kammerphilharmonie Bremen angesehen, ist der Klangkörper längst aus deren Schatten getreten. Gleichwohl gilt das Abo bei der strahlenden Konkurrenz immer noch als deutlich cooler. Ein überzeugendes Beispiel für die Praxis der Philharmoniker, Vergessenes oder Schwieriges aufs Programm zu setzen, war das Konzert am Montagabend.

„Poetische Szenen im Konzertsaal“ versprach das Programm; auf dem Plan standen mit Ravels „Tzigane“, Chaussons „Poème für Violine und Orchester“ und Schönbergs „Pelleas und Melisande“. Ohne wohlklingende, ein schlüssiges Gesamtkonzept suggerierende Motti geht es auch im Konzertbetrieb anscheinend nicht mehr. Diese war allerdings irreführend. Sowohl Chausson als auch Schönberg verarbeiten nämlich musikalisch Dreiecksbeziehungen, die im Mord aus Eifersucht enden.

„Poetisch“ ging es allenfalls bei von Ernest Chausson zu, der eine Novelle von Turgenjew wundersam und bewegend in Töne setzte. Werke von Chausson, einem wichtigen Vertreter des französischen Impressionismus, könnten ruhig öfter in das Programm von Konzert- und Opernhäuser geraten.

Noch weniger poetisch ist Ravels „Tzigane“. Virtuos und elegant wird hiermit Temperament und Witz die Straßen- und Kneipenmusik des Balkan verarbeitet, bei deren Klängen die damaligen Konzertbesucher vermutlich meist Fenster und Türen fest verschlossen hielten. Das eher melancholische Nachdenken über die verlorene musikalische Unschuld der Solovioline kontrastiert auf das Schönste mit dem reißerisch witzigen, Folklore ins 20. Jahrhundert transponierenden Orchestersatz. Isabelle Faust – Violinistin in des Abends – spielte mit ihrem solistischen Part sehr versonnen Ersteres, das Orchester mit Akkuratesse und Spielfreude Letzteres. Das es dabei nicht immer fehlerfrei zuging, steigerte das Hörvergnügen eher, als dass es ihm entgegenstand.

Auch in Arnold Schönbergs nach der Pause gespielter sinfonischer Dichtung – einem Werk des Übergangs von der opulenten Spätromantik zur Moderne – lässt sich schlecht poetisch träumen. Schönbergs Sache ist die zurückhaltend nervöse, eher kammermusikalisch geprägte Umsetzung des Maeterlinckschen Dramas durch Debussy, das jüngst im Theater am Goetheplatz gespielt wurde, nicht: Wo Debussy Beklemmung erzeugt, macht Schönberg Angst – und sei’s nur Angst um das eigene Trommelfell.

Maeterlincks zart-grausames Drama um Liebe, Leidenschaft und Eifersucht wird hier zur teutonisch machtvollen, den Zuhörer fordernden und niederschmetternden Tragödie, die eine knappe Hundertschaft zu Klangwellen formt, die zuweilen sturmflutartig über das erschreckte Konzertpublikum hinwegrollen. Sicherlich, auch hier gibt es viel Zartes, fein Gesponnenes, Delikates – doch nichts Entspannendes. Stets lauert der finale Gewaltakt hinter der scheinbaren Idylle.

Marko Letonja – slowenischer Gastdirigent des Abends – führte beherrscht und sicher durch das anspruchsvolle Programm, bei Schönberg sehr darauf bedacht, die polyphone Struktur durchschau- und hörbar zu machen. Das ein oder andere Pianissimo wäre allerdings angemessen gewesen.

Das Auditorium folgte aufmerksam und dankte Solistin, Dirigent und Orchester mit herzlichem Beifall für diesen erlebnisreichen, eindrucksvollen Konzertabend. MARIO NITSCHE