: Verbrannte und Verbannte
ANDERS DENKEN Die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ aus der NS-Zeit blieb lange unveröffentlicht. Hacker_innen haben sie zu neuem Leben erweckt
Den vom NS-Regime verbotenen Autor_innen eine Stimme verleihen – anschaulich, informativ, digital. Diesem Ziel verschrieben sich mehrere Gruppen kreativer Computernerds im Rahmen von „Coding da Vinci“, dem ersten Hacker-Wettbewerb mit von Museen zur Verfügung gestellten Daten. Das Verzeichnis verbotener Autor_innen meist jüdischer Herkunft oder linker und progressiver Gesinnung war bis 1945 geheim und blieb auch nach Kriegsende lange unveröffentlicht. Erst seit 2008 ist sie auf berlin.de im Internet zu finden. Was bisher jedoch fehlte, war die Verknüpfung der Liste mit Informationen über die jahrzehntelang zum Vergessen verurteilten Schriftsteller_innen.
Die kostenlose App „verbotene Autoren“ füllt nun diese Lücke: Die fast 1.000 Autor_innen und 5.000 Publikationen wurden mit ihren jeweiligen Wikipedia-Artikeln und Einträgen in der Deutschen Nationalbibliothek verlinkt. Der twitter-account „@LebendigeListe“ tweetet täglich per Zufall einen Eintrag aus der Liste der verbannten Literatur. Die lange aus der öffentlichen Wahrnehmung gelöschten Schriftsteller_innen mischen sich so postum in den digitalen Diskurs ein.
Zum Erkunden der Welt des verbotenen Gedankenguts lädt die website verbrannte-und-verbannte.de ein. Sie wurde von der Jury mit dem ersten Preis in der Kategorie „most useful“ prämiert. „Schon bei der flüchtigen Durchsicht der Daten hat sich gezeigt, dass sich hinter unscheinbaren Einträgen wie etwa ‚Victoria (Trude) Wolf: Sämtliche Schriften‘ oder ‚Walter Kreiser: Sämtliche Schriften‘ eine Vielzahl faszinierender, aber heute weitgehend vergessener Lebensläufe verbergen“, erzählt Daniel Burckhardt, einer der neun Entwickler_innen der Seite. „Im Zentrum stand deshalb die Frage, wie wir sowohl individuelle Schicksale als auch den gewaltigen Umfang dieser Verbotslisten […] aufzeigen können“.
Grafisch ansprechend und übersichtlich verführt die Seite zum Stöbern und bietet eine Vielfalt von Zugängen zum Thema: Die geheime Liste der „Reichsschriftkammer“ lässt sich nach Personen, Publikationen oder Orten sortieren, jeder Eintrag ist mit einer Reihe weiterer Informationen verlinkt: beispielsweise den Katalogen verschiedener Bibliotheksverbunde, Googlebooks, Geonames-Landkarten oder dem entsprechenden Wikipedia-Artikel. Eine Reihe bunter Grafiken macht das Ausmaß der Verfolgung greifbarer, etwa in Form von Diagrammen zu Titelstichworten. Exemplarisch sind auch die Lebensläufe von Annette Kolb und Erich Kästner dargestellt – anschaulich mithilfe interaktiver Zeitstrahlen und Karten. Dem Vergessen des widerständigen Gedankenguts ist mit den Entwicklungen der kreativen Programmierer_innen etwas entgegengesetzt worden. LOU ZUCKER