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Archiv-Artikel

Per Gesetz mehr Gift in Obst und Gemüse

Greenpeace-Studie: Seit Jahren hebt die Bundesregierung die Obergrenzen für Pestizide in Lebensmitteln an

BERLIN taz ■ Unter einer makellosen Schale von Obst und Gemüse darf sich immer mehr Gift verstecken: Die Bundesregierung hat die Grenzwerte für Ackergifte in Lebensmitteln in den letzten zwei Jahren mehrfach entschärft. In Salat, Trauben oder Erdbeeren darf die Dosis jetzt bis zu 500-mal höher sein als früher. Das belegen Recherchen des Freiburger Toxikologen Wolfgang Reuter.

Im Auftrag von Greenpeace hat Reuter mit seinen Mitarbeitern vom Fachbüro für Toxikologie und nachhaltige Entwicklung unter die Lupe genommen, wie sich die knapp 4.000 Pestizidgrenzwerte in Deutschland von 2004 bis 2006 verändert haben.

Rückstände von Spritzmitteln gegen lästige Insekten oder Schimmelpilze seien in Maßen erlaubt, erklärt Reuter. Wie hoch die Belastungen sein dürfen, regelt in Deutschland die Rückstands-Höchstmengenverordnung. Die Federführung hat das Bundesverbraucherministerium, das bis Ende 2005 noch von der Grünen Renate Künast geleitet wurde, seitdem steht ihm CSU-Politiker Horst Seehofer vor.

Die Minister haben in den letzten beiden Jahren insgesamt 400 Grenzwerte für Pestizide geändert. In knapp 30 Prozent der Fälle senkten sie die erlaubten Belastungen. Beim Gros aber, nämlich 293-mal, erhöhten sie sie. 188 dieser Entschärfungen entfielen allein auf das vergangene Jahr.

„Die Regierung legalisiert lieber das Gift, statt die Verbraucher davor zu schützen“, empört sich Manfred Krautter, der Chemieexperte von Greenpeace. Er fordert: „Belastete Lebensmittel müssen endlich vom Markt verschwinden.“

In der Realität sieht das ganz anders aus: Kontrolleure finden in Bananen, Erdbeeren oder Tomaten aus Supermärkten, Obstläden oder von Wochenmärkten immer wieder Gifte mit Namen wie Iprodion, Myclobutanil oder Thiabendazol. Die Bauern spritzen ihr Obst und Gemüse mit vielen Mitteln– auch mal zu hoch dosiert oder noch kurz vor der Ernte. Hermann Kruse, Toxikologe an der Universität Kiel, sagt: „Die Menschen fallen nicht gleich tot um“, allerdings sei die Belastung „schleichend.“ Im Körper summierten sich Chemikalien, die Krebs auslösen oder wie Hormone wirken könnten.

Hubertus Goltz, Sprecher des Agrarministeriums, sagt: „Wir haben die Grenzwerte nicht allgemein erhöht“, sie seien „detaillierter geworden“. Bis 2001 habe es nur einen pauschalen Grenzwert für Obst und einen für Gemüse gegeben. Dann habe sich das Verfahren EU-weit verändert: Die Experten legten jetzt für Bananen und Erdbeeren, für Tomaten und Salat eigene Belastungsgrenzen fest. Denn jede Pflanze werde auch unterschiedlich stark gespritzt – je nachdem wie anfällig sie für Krankheiten ist. So komme es mal zu Ent-, mal zu Verschärfungen der Limits.

Aus Sicht von Umweltschützer Krautter sind die Verschärfungen aber viel zu selten. Seehofer solle sich lieber an Babynahrung und Bio-Lebensmitteln orientieren. Da seien die Grenzwerte schon lange viel niedriger.

HANNA GERSMANN