IM FLURLICHT : Unter ihr Gebete
Irgendetwas muss sie mit dem Dreiminutenlicht gemacht haben. Normalerweise bleibt nur das Licht im Erdgeschoss an. Zwischen dem zweiten und dritten Stock, dort, wo sie sich auf den Stufen niedergelassen hat, erlischt es wieder. Doch heute nicht.
Sie hat ihre dicke Jacke neben sich gelegt und fischt ein kleines Paket, ein Feuerzeug und Alufolie aus ihrem Rucksack. Ihre Hände zittern, als sie das Päckchen auswickelt, das Feuerzeug scheint leer, sie braucht Ewigkeiten, ehe eine Flamme zu sehen ist. Erst als sie das Heroin erhitzt hat und langsam inhaliert, hört das Zittern auf.
Anderthalb Stockwerke unter ihr ist das Leben ein anderes. Frauen in langen Gewändern eilen in die Moschee im ersten Stock, aus den Waschräumen in Keller dringen Licht und Dampfschwaden. Aus einem Milchglas-Fenster, das nicht schließt, lugt ein Kind hervor, macht lange Nasen in die Dunkelheit, ehe es von einer unsichtbaren Person im Hintergrund weggezogen und das Fenster mit einem energischen Schlag geschlossen wird.
Warum fühlt sich das Mädchen ein paar Stufen höher so sicher? Warum zuckt sie nicht zusammen, wenn wieder eine Gruppe von Menschen die Stufen in den ersten Stock hinaufsteigen? Weiß sie, dass die Moscheebesucher nicht in die oberen Stockwerke kommen? Hat sie sich versichert, dass aus den Werkstätten in den oberen Stockwerken weder Licht noch Geräusche dringen und von dort sicher niemand das Treppenhaus betreten wird?
Sie bleibt lange auf ihrer Treppenstufe sitzen, legt die Folie irgendwann neben sich und lehnt ihren Kopf an die Wand. Unter ihr hat mittlerweile das Gebet begonnen, das Treppenhaus ist leer. Irgendwann sammelt sie ihre Sachen zusammen, packt ihren Rucksack, setzt sich ein paar Stufen höher. Eine halbe Stunde später ist das Licht aus.
SVENJA BERGT