piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wir erleben einen ziellosen Stillstand“

WELTKULTURERBE Der Tourismusberater Stefano Ceci über Italiens Erbe und die Tourismuskrise im Sehnsuchtsland der Deutschen. Sein Fazit: Wer etwas verbessern will, wird von der Politik isoliert

Stefano Ceci

■ Der 41-Jährige war von 1998 bis 2002 Chef der staatlichen Tourismusagentur APT in der Emilia Romagna. Dann gründete er in Bologna das Beratungs- und Forschungsunternehmen GH zur Förderung innovativer Unternehmenskonzepte im Tourismus, das er bis heute leitet. Das neueste Projekt von GH ist das Start-up www.freshgenerator.com. Das ist ein bislang einzigartiges Angebot für Reiseanbieter, Hotels und dergleichen aus allen Ländern, eine eigene Website zu gestalten und ohne Onlinevermittler selbst zu verwalten.

INTERVIEW MICHAELA NAMUTH

taz: Herr Ceci, das antike Pompeji bricht zusammen, und die schönsten Strände werden mit Zement zugeschüttet. Dafür schießen die Preise in die Höhe. Auch die treuesten Touristen sind von Italien enttäuscht. Haben sie recht?

Stefano Ceci: Unser Land ist immer noch bella Italia. Aber wir Italiener geben ein enttäuschendes Bild ab. Wir sind eindeutig verantwortlich für diese Misere, für die Unfähigkeit, unser Kulturgut und unsere außerordentlichen Naturschätze zu erhalten und aufzuwerten. Wir stecken in einer wirklich schwierigen Situation. Aber ich bin optimistisch, dass sich das wieder ändert.

Was sind derzeit die größten Probleme der Branche?

Wir erleben eine Zeit des ziellosen Stillstands. Die meisten Veranstalter wissen nicht, was sie tun sollen. Die Politik ist nicht in der Lage, neue Wachstumsimpulse zu geben. Dabei hätten wir das bitter nötig.

Wie sehen denn die konkreten Zahlen aus?

Im internationalen Ranking der Wettbewerbsfähigkeit bezüglich der Preise stehen wir auf Platz 116 von insgesamt 124 Ländern. Im Web, wo die Zukunft der Branche entschieden wird, sind nur 7 Prozent der Anbieter präsent. Es mangelt an der Fähigkeit, effiziente Transportsysteme zu organisieren. Deshalb ist das Reisen in Italien immer noch chaotisch und inzwischen auch teuer. Wir verschwenden viele Staatsgelder für kleine, rhetorische Werbekampagnen, anstatt Projekte für einen nachhaltigen Tourismus zu finanzieren. Unsere Politiker, allen voran die Tourismusministerin Michela Vittoria Brambilla, haben leider gezeigt, dass sie den dringenden Anforderungen nicht gerecht werden. Das beweisen die neuen Daten des Instituts für Statistik: Die Anzahl der Touristen ist 2010 um 12,4 Prozent gesunken. Das ist, selbst wenn man die Wirtschaftskrise einkalkuliert, ein Alarmsignal.

Sie unterstützen den Appell des italienischen Touring Clubs und des Ferrari-Chefs Luca di Montezemolo, die Ausgrabungsstätte Pompeji in Zukunft von einem Pool aus Unternehmen, Bürgerinitiativen und Vereinen verwalten zu lassen. Soll denn jetzt auch noch das antike Kulturerbe privatisiert werden?

Nein, bestimmt nicht. Aber es ist klar, dass der Staat in Pompeji versagt hat. Es ist an der Zeit, neue Modelle zu erproben, um unsere Kulturerbe zu retten und es als wirtschaftliche Ressource für das Land zu nutzen. Die Kulturschätze gehören nicht uns, sondern der Menschheit. Sie müssen öffentlich bleiben. Aber um Pflege und Service für die Besucher zu verbessern, muss der Staat mit den Privaten zusammenarbeiten. Das funktioniert natürlich nur, wenn das Interesse aller und nicht einzig die Logik des Profits im Vordergrund steht.

Nicht weit von Pompeji hat der ermordete Bürgermeister Angelo Vassallo bereits ein neues, umweltbewusstes Modell angestoßen. Die Wasserqualität ist gestiegen und mit ihr die Zahl der Badegäste, aber auch die Lebensqualität der Bewohner. Warum folgen im Süden so wenige seinem Beispiel? Haben sie Angst?

Es stimmt nicht, dass nur wenige seinem Beispiel folgen. Wir arbeiten viel im Süden und lernen viele Bürgermeister, Lokalpolitiker und Unternehmer kennen, die ihren Job ernst nehmen. Es gibt viel mehr mutige Menschen wie Vasallo, als man vermutet. Das Problem ist, dass sie von der Politik isoliert werden. Oft führen sie allein einen schwierigen Kampf gegen Umweltverschmutzung oder gar Umweltverbrechen wie illegales Bauen oder Ablagern von Giftmüll. Dabei sollte der Staat gerade ihnen zu Hilfe kommen.

Wie sind Ihre Prognosen? Wird sich eine Form des nachhaltigen Tourismus irgendwann auch in Italien durchsetzen?

Ja, natürlich. Dieser Prozess hat schon längst begonnen. Ich denke an die Region Apulien, wo der linke Politiker Niki Vendola Projekte finanziert, die Umwelt, Territorium und Tourismus in gleicher Weise fördern. Aber auch in Sizilien gibt es viele junge Leute, die als Veranstalter, Winzer oder Gastronom arbeiten und die sich eine anderes, von der Mafia befreites Land wünschen. In der Toskana und in meiner Region, der Emilia Romagna, existiert von jeher ein starkes Bewusstsein, dass unberührte Natur und hohe Lebensqualität gute Voraussetzungen für den Tourismus sind. Dieses Modell funktioniert, und unsere Hoffnung ist, dass sich der Rest des Landes irgendwann anschließt. Italien feiert dieses Jahr seinen 150. Geburtstag, und vielleicht wäre das ja eine gute Gelegenheit, sich um die Zukunft gemeinsam ein paar Gedanken zu machen.