: Geklöppel mit tieferem Sinn
KUNSTROCK Tu Fawning aus Portland, Oregon empfehlen sich mit unberechenbaren Soundexperimenten als das nächste große Ding
Was will diese Musik? In welchem Kontext kann man sie sich vorstellen? Kann man sich dazu einen verschwitzten Club vorstellen, eine vollgestopfte Sauna, einen leeren, staubigen Parkplatzpark vor einem amerikanischen Riesensupermarkt? Tu Fawning machen es einem nicht leicht, so viel ist klar. Die Band aus Portland, Oregon, USA macht, was man gemeinhin Kunstrock nennt. Art Rock im zeitgemäßen Gewand. Nicht Genesis oder Yes, gar nicht Kraftwerk, eher vielleicht Kate Bush. Oder Abba in gruselig? Nein, nein. Kate Bush, begleitet von der tollen, leider viel zu schnell untergegangenen 90er-Indie-Schrammel-Band Thinking Fellers Union Local 282: das sind Tu Fawning.
Also ein Quartett mit interessanten Instrumenten, wie zum Beispiel einer sehr großen Pauke oder einer überlangen Posaune. Mit eigenwilliger Einteilung: Einen festen Schlagzeuger gibt es genauso wenig wie eine Bassgitarre (Bassgitarren sind derzeit ohnehin recht demodé), dafür werden munter die Instrumente getauscht. Und in der Mitte des Ganzen steht und fällt Corrina Repp als Chanteuse mit ihrer tiefen, extraordinären Stimme.
Viele dieser Annahmen stimmen gar nicht, wie sich am Samstagabend im fast vollen Comet Club zeigte. Da traten Tu Fawning nämlich ganz bewusst als Band auf: vier Menschen, neben Repp Joe Haege, den man von der etwas anderen Baustelle 31knots (Math Rock) vielleicht kennt und der mit Repp wohl auch verpartnert ist, sowie Multiinstrumentalistin Liza Rietz und Perkussionist und Posaunist Toussaint Perrault. Sie teilten sich die Instrumente, sie teilten sich die Bühnenpräsenz. Und nach kurzer Orientierungsphase spielten sie sich auch in ihre Musik und in ihr Publikum hinein.
Dabei zeigte gerade diese erste Phase, wie sehr dieses Projekt auch schiefgehen könnte: nämlich dann, wenn Breaks zu gewollt wirken. Wenn die Absicht, den geraden 4/4-Takt zu unterlaufen, zu offensichtlich wird. Wenn der ungewöhnliche Einsatz der Instrumente – da wird dann auch mal die Geige von hinten beklopft und zur Perkussion missbraucht – nur mehr ein müdes Achselzucken hervorruft. Ja, schon gut, Kunstrock, denkt man. Was will diese Musik? Sie will nicht schreien, mich nicht zu Revolutionen oder zur Drogeneinnahme anheizen. Sie will schon mal gar nicht einfach nur da sein. Sie will nicht, dass ich tanze, jedenfalls nicht grundsätzlich. Vielleicht will sie etwas emotionale Unterstützung liefern, mit Spuren von Melancholie, Tribalismus und entfernter Gothic. Aber ausstellen oder einholen will sie auch nichts.
Aber wie bereits angedeutet – irgendwann fing diese Musik an diesem Abend doch an, zu funktionieren. Klingen Tu Fawning auf der von Menomena-Chef Justin Harris produzierten Platte „Hearts on Hold“ (hier in Berlin bei City Slang erschienen) noch sehr getaktet, räumlich beschränkt, kompakt, entfalten sie sich live von Stück zu Stück auf sehr dynamische Art und Weise. Alles beginnt plötzlich Sinn zu haben – das Geklöppel, das Geraune, die verschrobenen Samples. Die Stücke – von „Songs“ oder „Tracks“ kann man nicht wirklich sprechen – wirken. Wie und warum auch immer.
Und man muss ja auch nicht immer alles verstehen. Schon der Bandname hat ja nicht wirklich Bedeutung. Er tut nur so, als ob. „I know you know that I won’t forget you“: Dass Tu Fawning demnächst größere Säle bespielen werden, scheint ausgemachte Sache zu sein. Die Musikkenner der Stadt und ihrer Magazine waren jedenfalls fast komplett vertreten. Etwas Großes kündigt sich an. RENÉ HAMANN