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Archiv-Artikel

Suspekter Kandidat

VON CHRISTIAN FÜLLER

Die Haltung maßgeblicher Innenpolitiker zu Murat Kurnaz hat sich nicht geändert. Der junge Mann, in Deutschland geboren, wird juristisch penibel nach Vorschrift behandelt – also als Ausländer. Politisch gilt er weiterhin als suspekt. Wenn die Frage auftaucht, ob man ihm einen Pass geben sollte, ziehen Innenpolitiker die Stirn in Falten. Laut seinem Anwalt Bernhard Docke will Kurnaz einen deutschen Pass beantragen.

„Ich hätte damit ein Problem“, sagte der wichtigste SPD-Innenpolitiker, Dieter Wiefelspütz. „Die Zuverlässigkeit von Herrn Kurnaz ist für mich nicht geklärt.“ Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sieht in der Bild-Zeitung „noch eine Reihe offener Fragen“. Dagegen erklärte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), ein möglicher Einbürgerungsantrag Kurnaz’ dürfe ausschließlich „nach Recht und Gesetz“ behandelt werden. Geradezu moderat äußerte sich auch der CSU-Rechtsaußen Norbert Geis: „Natürlich muss auch bei Herrn Kurnaz genau geprüft werden, wie er zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht.“

Wegen Murat Kurnaz steckt die große Koalition in Berlin schwer in der Bredouille. Mehrere Ausschüsse des Bundestages versuchen, das Schicksal des einst als „Bremer Taliban“ bezeichneten Mannes aus der Hansestadt aufzuklären. US-Streitkräfte hatten Kurnaz bei einer Reise nach Pakistan kurz nach dem 11. September 2001 festgenommen und in das exterritoriale Sicherheitsgefängnis Guantánamo verschleppt. Der amtierende deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) soll entscheidenden Anteil daran gehabt haben, dass Kurnaz von dort nicht in seine deutsche Heimat reisen durfte – also konnte der heute 24-Jährige vier Jahre lang das völkerrechtswidrige Lager nicht verlassen, obwohl die Amerikaner seine Freilassung anboten.

Es stehe nicht in Frage, „dass Herrn Kurnaz durch die USA schweres Unrecht zugefügt wurde“, gesteht SPD-Mann Wiefelspütz ein. Die Opposition geht noch einen Schritt weiter: Sie fordert, Kurnaz jetzt den Schutz durch die Bundesrepublik Deutschland zuteil werden zu lassen, der ihm jahrelang vorenthalten worden war. „Ich würde mich freuen, wenn Kurnaz endlich einen Pass bekäme“, sagte die PDS-Innenpolitikerin Petra Pau der taz. „Am besten ohne biometrische Daten.“

Die Menschenrechtspolitikerin Claudia Roth (Bündnisgrüne) warf SPD und CDU empört „Heuchelei und Doppelzüngigkeit“ vor. „Deutschland ist die Heimat von Murat Kurnaz“, daher habe er ein Recht auf den Pass. Der FDP-Innenpolitiker Max Stadler sagte, die Behörden hätten sich im Falle Kurnaz viel zu lange von Sicherheitsbedenken tragen lassen, obwohl es eine Schutzpflicht für hier Geborene gebe (siehe unten).

Zuständig für einen Passantrag von Murat Kurnaz ist die Einbürgerungsstelle des Bremer Stadtamts. Dort werde ein möglicher Antrag geprüft – streng nach Gesetz, sagte Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) der taz. Ob ein Antrag vorliege, könne er weder bestätigen noch dementieren, sonst würde er Kurnaz’ Belange verletzen.

Formal ist im Fall Kurnaz also alles in bester Ordnung. Das war schon damals so, als Bremens Innenbehörde die Aufenthaltsgenehmigung des Pass-Türken auslaufen ließ – weil sich der Sohn der Stadt sechs Monate nicht um ihre Verlängerung bemüht hatte. Sein Fehler, beschlossen die Innenbehörden des Bundes und Bremens. Denn er saß ja in Guantánamo.