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Archiv-Artikel

Es tut doch so weh, ach, so weh …

Gestern war der Welttag der Kranken. Heute sprechen wir einmal von „Cyclophobie“

Wenn ich eine Fahrradglocke nur aus weiter Ferne höre, flüchte ich mit jagendem Puls

Zum gestrigen Welttag der Kranken wollen wir einmal all derer gedenken, die am Rande stehen. Mit ihrer Krankheit. Dabei reden wir nicht von geschwollenen Innereien und infizierten Darmausgängen oder eiternden Gaumenekzemen. Auch diese Menschen haben saftige Probleme, da gibt es nichts zu beschönigen. Trotzdem haben sie es noch recht gut. Man mag so jemand zwar nicht unbedingt am Tisch sitzen haben oder ihn gar abknutschen. Aber: Jene Kranken werden – obwohl von der Allgemeinheit weiträumig gemieden – doch in ihrem Kranksein akzeptiert und entsprechend bemitleidet.

Schlimmer sind die dran, die so seltsam krank sind, dass sie keinerlei Akzeptanz ihrer Umwelt erwarten können. Solche, denen man unterstellt, dass sie „nur auffallen wollen“. Solche, denen man nachsagt, sie hätten ihre Krankheit nur, weil sie es schick fänden, auf diese Art krank zu sein. Ich bin so einer. Ich bin cyclophob. Doch, das gibt es: Cyclophobie. Angst vor Fahrrädern.

Aha. Sehen Sie! Genauso geht es mir immer mit meiner Krankheit. Dieses angewiderte Fälteln der Oberlippe, diese zuckende Augenbraue. Dieser wissend ironisch wackelnde Schädel. Diese Kommentare wohlmeinender Ahnungsloser: „Angst vor Fahrrädern? Das kenn ich. Vor denen muss man sich in Acht nehmen. Wenn die von hinten auf dem Fussgängerüberweg …“

Das ist selbstverständlich vollkommener Blödsinn. Ich habe keine Angst davor, dass mich Fahrräder niederrammen könnten. Davor habe ich auch Angst, aber Sie verstehen mein Problem vielleicht, wenn ich Ihnen sage, dass mich schon die zufällige Erwähnung von Fahrradzubehör wie „Shimano“ oder „40 mm Federweg, Vorspann einstellbar“ in leichte Panik versetzen. Mit „Kettler City Cruiser“, können Sie mich verjagen, und „Bianchi Via Nirone“ treibt mir den Angstschweiß auf die Stirne.

Wenn ich eine Fahrradglocke aus weiter Ferne höre, flüchte ich mit jagendem Puls in die nächste Hofeinfahrt. Wo ich mich dann auf den Boden werfen und oft stundenlang liegen bleiben muss, bis ich ganz sicher bin, dass das Fahrrad vorbei ist. Selbstverständlich rauschen in dieser Zeit dutzende von anderen Fahrrädern an der Toreinfahrt vorbei. Das weiß ich auch. Aber das hilft mir in meiner Cyclophobie nicht weiter. Mir hilft überhaupt nichts weiter. Man weiß nicht, woher es kommt.

Mein Heilpraktiker hat mir väterlich die Hand auf die Schulter gelegt und mir geraten, ich solle mir doch einfach überlegen, „was mich so gerädert hat“ und ob ich schon mal „zwischen die Speichen gekommen sei“. Der Analytiker, bei dem ich war, wollte mich desensibilisieren. Ich solle von nun an ständig Radlerbier trinken und unter meiner Alltagskleidung immer eine Radlerhose tragen. Das wäre überhaupt ein ziemlich tolles Gefühl – und dabei konnte ich beobachten, wie sich eklige Speichelfäden in seinem Mundwinkel gebildet haben. Das hat mir dann gereicht.

Ich weiß nicht, woher es kommt! Und ich will es auch gar nicht wissen! Vielleicht habe ich ein grauenhaftes Geheimnis, und wenn ich weiter nachforsche, kommt irgendetwas Fürchterliches zu Tage … Ich will es gar nicht wissen, ich will auswandern, mindestens umziehen. An einen Ort, an dem es keinerlei Fahrräder gibt. Geben kann. Ich dachte an eine Forschungsstation im ewigen Eis oder, besser noch: an eine Bohrinsel. Diese Fantasie hat mich für eine Weile beruhigt. Ich auf einer stillen, im mäßig stürmischen Atlantik gelegenen Bohrinsel behutsam nach Öl bohrend. Den Walen zusehend und keinerlei Fahrräder. Nirgends. Es war schon fast alles gut. Da hat mich diese nagelneue Krankheit befallen. Wie aus dem Nichts. Als wollten die Phobien mir sagen: „Glaub du bloß nicht, dass du uns entkommst!“

Es muss unbedingt unter uns bleiben, aber nun sehe ich alte Urlaubsdias. Genauer gesagt: ein Urlaubsdia. Aus der Reihe „Spanienurlaube 86–88“. Es wird von einem verborgenen, unheimlichen Projektor auf die Leinwand meines inneren Auges geworfen. Ich und mein Cousin Ernst vor der Alhambra. Überbelichtet. Immer wieder dieses Dia. Ich habe nachgeforscht. Diese Krankheit gibt es nicht. Jedenfalls hat sie keinen Namen. Und so möchte ich hiermit in meinem Leid wenigstens Urheberschutz anmelden. Auf „Diaphobie“. Oder besser: „Morbus Dias“. Das klingt irgendwie freundlicher. ALBERT HEFELE