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Archiv-Artikel

Das Müll-Geschäft

von Annette Jensen

Karawanen von Müllwagen werden demnächst in Richtung Deutschland rollen. Wer seinen Dreck loswerden will, findet hierzulande bald gute Möglichkeiten: Gegenwärtig sind etwa 40 neue Müllverbrennungsanlagen geplant oder sogar schon im Bau. Zwar heißen die neuen Öfen offiziell Industrieheizkraftwerke oder Ersatzbrennstoffanlagen. Doch befeuert werden sie mit Haus- und Gewerbeabfall.

Manche Firmen wie die Norddeutsche Affinerie in Hamburg wollen die Anlagen selbst bauen und betreiben. Meist aber sind es die großen Energieversorger, die die Werke in der Nähe oder sogar auf dem Gelände von Industriebetrieben errichten und den gesamten Strom und die Wärme an einen einzigen Abnehmer liefern: In Rüdersdorf bei Berlin will Vattenfall ein Zementwerk mit Strom versorgen, und im hessischen Korbach plant die MVV Energie eine 30-Millionen-Euro-Anlage für den Reifenhersteller Conti. Bald schon sollen dort täglich 15 Laster mit Müll aus Nordrhein-Westfalen anrollen, um den Dampfbedarf der Fabrik zu decken.

Zwar ist die Ausbeute an nutzbarer Energie in „Ersatzbrennstoffanlagen“ im Vergleich zu anderen Kraftwerken gering. Doch zumindest zurzeit ist Müllverbrennung ein sehr gutes Geschäft. Denn die Abfallentsorger zahlen 80 bis 150 Euro für jede Tonne, die sie hier loswerden – während der Einkauf von Öl und Gas bekanntlich immer teurer wird. So erhofft sich die Conti-Geschäftsführung jährliche Kostenvorteile von bis zu 2,5 Millionen Euro. Noch gibt es in Deutschland Abfall in Hülle und Fülle, die Zwischenlager sind bis zur Oberkante gefüllt. „Die Kapazitäten für Siedlungsabfälle sind gegenwärtig nur knapp ausreichend und für Gewerbeabfälle unzureichend“, beschreibt Wolfgang Butz vom Umweltbundesamt die Lage. Schließlich darf Abfall in Deutschland seit dem Jahr 2005 nicht mehr ohne Vorbehandlung abgelagert werden. Viele Kommunen hatten diese Möglichkeit bis zur letzten Minute genutzt, weil Deponiebetreiber mit Dumpingpreisen lockten, um ihre Kippen noch voll zu kriegen: 30 Euro pro Tonne oder noch weniger wurden mancherorts verlangt – und so reiste viel Müll quer durch die Republik. Derweil hatten die Müllverbrennungsanlagen Schwierigkeiten, genügend Nachschub zu bekommen.

Damit ist jetzt Schluss. Etwa 17 bis 18 Millionen Tonnen wandern nun jährlich direkt in einen der bundesweit gut 60 Müllöfen. Weitere sechs Millionen Tonnen landen in mechanisch-biologischen Abfallanlagen. Dort wird den Ausscheidungen der Konsumgesellschaft zunächst die Feuchtigkeit entzogen und der Rest dann je zur Hälfte verbrannt und deponiert. In ein bis zwei Jahren, so schätzt Butz, sind die Zwischenlager in Deutschland geräumt. Und kurz danach werden die Preise für die Abgabe von Haus- und Gewerbemüll abstürzen, verspricht die Remondis AG, eine der Großen im internationalen Müll- und Recyclinggeschäft. Schließlich würden die vielen neuen Müllverbrennungsanlagen zu riesigen Überkapazitäten führen. Der Verband kommunaler Abfallwirtschaft versucht dagegen, die drohende Konkurrenz kleinzureden. „Die jetzt geplanten Anlagen werden auf keinen Fall alle realisiert“, wiegelt Sprecherin Ruth Schäfer ab.

Abfall aus Australien

Umweltschützer befürchten eine ganz andere Entwicklung. „Die Betreiber werden nicht davor zurückschrecken, Abfall aus Osteuropa, Italien oder sonst woher zu akquirieren, um ihre Anlagen voll zu kriegen“, vermutet Peter Gebhardt, freier Mitarbeiter des Ökoinstituts. Davon ist auch der Ökologe Klaus Koch überzeugt, der häufig als Gutachter für Bürgerinitiativen auftritt. Schließlich verbrenne Eon schon heute in Hameln Müll aus Neapel. In Brunsbüttel würden sogar Sonderabfälle aus Australien behandelt.

Rückenwind für eine solche Entwicklung kommt aus Brüssel. Noch in diesem Jahr soll eine neue Abfallrahmenrichtlinie verabschiedet werden, die EU-Umweltkommissar Stavros Dimas im Dezember 2005 vorgelegt hat. Offiziell geht es dabei um Bürokratieabbau. Doch tatsächlich enthält der Vorschlag entscheidende Neuerungen, die Müllofenbesitzern sehr zugute kämen. So soll Verbrennung nach Dimas’ Vorstellung künftig als „Verwertung“ von Abfall gelten, wenn dabei ebenfalls Strom oder nutzbare Wärme entsteht – was in Deutschland bei jeder Müllverbrennungsanlage sowieso schon der Fall ist. Setzt sich Dimas durch, wäre die bisherige Prioritätenliste der EU-Abfallpolitik Makulatur.

Bisher gilt: Müll soll möglichst gar nicht erst entstehen – also vermieden werden. Was dennoch anfällt, muss, soweit es geht, wiederverwendet oder recycelt werden. Erst wenn alle anderen Optionen ausgereizt sind, darf Abfall beseitigt werden – im Ofen oder auf der Deponie.

Kommt der Vorschlag des EU-Kommissars durch, stehen Verbrennung, Recycling und Wiederverwendung künftig auf einer Stufe. „Millionen Tonnen recyclingfähigen Materials werden dann verbrannt werden, und die Industrie verliert den Anreiz, Produkte so zu konstruieren, dass die Einzelteile später wiederverwendet werden können“, beschreibt Fouad Hamdan von Friends of the Earth die absehbaren Konsequenzen. Bisherige Exportbeschränkungen für Siedlungsabfälle würden dann ebenfalls nicht mehr gelten.

Aus Sicht der Müllverbrennungslobby gibt es auch sonst vielversprechende Entwicklungen. Trotz aller Bemühungen, Rohstoffe zu schonen, sind Europas Abfallberge in den vergangenen Jahren nämlich immer weiter gewachsen. Allein beim Hausmüll verzeichnete die EU zwischen 1995 und 2003 ein Plus von 19 Prozent. Jeder Bürger schmeißt im Jahr durchschnittlich 530 Kilogramm in die Tonne. In den neuen Mitgliedstaaten sind es bisher zwar nur 300 bis 350 Kilo; doch auch auf diesem Feld werden die Osteuropäer wohl bald den Anschluss an westliche Standards geschafft haben.

Eine zukunftsträchtige Investition sind Müllöfen noch aus einem anderen Grund: Sie gelten als Klimaschutzmaßnahme. Bei der direkten Lagerung von Abfällen gast nämlich Methan aus – und das heizt das Treibhaus Erde zwanzig Mal so stark auf wie Kohlendioxid, das durch Verbrennung entsteht. In der Summe ist das bedeutend: Heute stammen etwa drei Prozent der Klimagase, für die die EU verantwortlich ist, aus Deponien. So erscheinen Müllöfen manchem Politiker als hervorragendes Instrument auf dem Weg zur Erfüllung des Kioto-Protokolls. Fuad Hamdan hält davon allerdings nichts: „Mehr Abfall zu verbrennen als unbedingt nötig, um damit ein bisschen Strom zu erzeugen, ist das Gegenteil von Klimaschutz.“

Schließlich ist nicht nur jedes Gaskraftwerk wesentlich effektiver. Vor allem führt Müllverbrennung dazu, dass für neue Produkte stets frisches Material hermuss – was viel mehr Energie verschleißt als die Wiederaufbereitung von gebrauchtem. Und tatsächlich spielt Recycling in der EU bisher eine eher untergeordnete Rolle. Nur 27 Prozent der Abfälle werden wiederverwendet – technisch möglich aber wären 80 Prozent.