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Archiv-Artikel

Macht kaputt, was ihr kaputt macht

TRASH Ist das noch oder wieder Film-Kunst oder nur noch Müll? In Harmony Korines neuem Film „Trash Humpers“ streifen drei bizarre Gestalten durch die Stadt, zerstören Dinge, malträtieren Menschen und vergehen sich an Mülltonnen

Eine Intuition zeigen, die man nicht in Worte fassen kann. Ob das gefällt? Scheißegal

VON ROBERT MATTHIES

Eine „eigentümliche Umformung des Landschaftsbildes“ hat der Sozialpsychologe Kurt Lewin 1917 in einem Essay beschrieben: nähert sich der Soldat der Front, verwandelt sich die gewohnte Umgebung in eine „Kriegslandschaft“. Die ganze Wirklichkeit erhält eine völlig andere Bedeutung – was einst „Friedensgegenstand“ war, verwandelt sich in ein „Gefechtsgebilde“. Eine tiefgreifende Erfahrung, die alles verändert.

Ganz Ähnliches ist Harmony Korine nach Selbstauskunft beim nächtlichen Hundeausführen in Nashville wiederfahren: Überall nimmt das Enfant terrible des US-amerikanischen Indiefilms, das Mitte der 90er mit dem Drehbuch zu Larry Clarks kontrovers diskutiertem Film „Kids“ für Aufsehen gesorgt hatte, plötzlich Mülltonnen wahr – umgestürzt, überwuchert, zerschlagen, dass ihr Inneres aus ihnen herausdrängt, als seien sie zusammengeschlagen und missbraucht worden, in Straßengräben, auf leeren Parkplätzen, im grellen Licht von Laternen, als habe man sich bewusst an ihnen vergangen und ihr Schicksal einer grausamen Logik folgend theatralisch in Szene gesetzt.

Was bis dahin als Behälter für das, was nach einem geschäftigen Tag als Abfall eben so anfällt, unbeachtet gleichsam aus dem Bild fällt, nimmt eine fast menschliche Form an: die alltägliche amerikanische Stadt-Landschaft der Wegwerf-Gesellschaft verwandelt sich in eine dramatische Szenerie. Und Korine erinnert sich an eine unheimliche Geschichte aus seiner Kindheit: an Erzählungen von einer furchterregenden Gruppe von älteren Spannern, die angeblich in Nashville ihr Unwesen trieben, sich in Gebüschen oder im Müll versteckten und die Nachbarn durch die Fenster beobachteten.

Diese beiden Ideen zusammen, erzählt Korine, brachten ihn auf die Idee zu seinem aktuellen Film „Trash Humpers“: eine Gruppe soziopathischer, böswilliger Senioren streift durch das nächtliche Nashville, redet wirres Zeug, zerstört Dinge, malträtiert Menschen – und vergeht sich mit sichtlichem Vergnügen an Mülltonnen.

Viel mehr Konzept hatten Korine und seine Mitstreiter, darunter seine Frau Rachel, auch nicht im Kopf, als sie sich nur wenige Monate vor der Premiere des Films aufmachten. Mit einer Reihe alter und kaputter Videokameras bewaffnet, in Jogginganzügen, und mit fiesen Latex-Greisenmasken über den Gesichtern zogen sie mitsamt Rollstuhl zwei, drei Wochen lang durch die Stadt, schliefen unter Brücken in alten LKW-Reifen und ließen sich allerhand absonderlich-grausamen Zeitvertreib einfallen.

Man sieht die alkoholisierten „Trash Humpers“ bei sich ständig wiederholenden Zerstörungsorgien: tanzend werden Fernseher zerschlagen, Babypuppen werden hinter Fahrrädern hergezogen, Kinder auf Fahrrädern ziehen mit einem Band um den Hals den Rollstuhl hinter sich her oder zerschlagen Puppen mit einem Hammer den Kopf, einer versucht, einer lebenden Kuh etwas aus dem Bein zu beißen: allesamt schwer zu ertragende Bilder in schwer zu ertragender Länge und Bild-Qualität.

Ein Film, der sich allem zu verweigern scheint, was man gemeinhin von Kino erwartet. Weder lässt sich eine Geschichte dahinter ausmachen, noch ein verborgener Sinn oder gar eine versteckte Moral. Kritik oder Sozialromantik ist das sicher nicht? Ist das überhaupt ein Film? Ist es krank, was die „Trash Humpers“ tun, oder ist es krank, das zu drehen? Und sich das anzusehen?

Harmony Korine ist jedenfalls sichtlich stolz, wenn er erzählt, dass man „Trash Humpers“ als provokanten Generalangriff auf die Vernunft und alle Sehgewohnheiten beschreibt. Eine Intuition zeigen, die er nicht in Worte fassen kann, das wollte er. Ob das jemandem gefällt? Scheißegal.

■ Do, 10. 3., 20 Uhr, Lichtmess, Gaußstraße 25