: Lieber unten bleiben
WUTBÜRGER-DOKU Regisseur Vaclav Reischl spürt mit seinem etwas unbedarften Dokumentarfilm „Oba bleiba!“ der Stuttgart-21-Protestbewegung nach
Ist schon klar: 2010 lag es wahrscheinlich für einen deutschen Dokumentarfilmer ziemlich auf der Hand, einen Film über die überraschend heftigen und breiten Proteste gegen den Stuttgart-21-Bahnhof zu machen. Besonders, wenn man wie der gebürtige Tscheche Vaclav Reischl schon seit Jahren in Stuttgart lebt. „Oba bleiba!“ heißt die Dokumentation, in der Reischl die Bürgerbewegung von Januar bis Dezember 2010 begleitet. Und all die wütenden Bürger vom Teenager- bis zum Rentenalter zu Wort kommen lässt, die sich dagegen wehrten, dass so viel Geld für einen Bahnhof verschwendet werden soll. Die sich von der Politik unerhört fühlten, von der Polizei schlecht behandelt, als Bürger verarscht.
Schon in der ersten Minute des Films wird klar, welche Geschichte Reischl erzählen wird. „Die Zeit ist reif“, stammtischt ein erregter älterer Herr, über ein Modell des Bahnhofs in einem Glaskasten gelehnt. „Das, was wir wollen, das wird nicht gemacht“, ruft er den anderen Menschen zu, die mit ihm am Glaskasten stehen. Und: „Unsere Demokratie funktioniert so nicht.“ Von Sätzen wie diesem strotzt der Film. In Spielfilmlänge zeigt er den Ärger der süddeutschen Wutbürger. Sein Kronzeuge ist der ehemalige Daimler-Benz-Vorstand Edzard Reuter, ebenfalls S-21-Gegner, der, ohne dass klar wird, worin eigentlich genau seine Kompetenz liegt, unter einem Baum sitzend erklären darf, was das alles hier in Stuttgart eigentlich zu bedeuten hat, wie es um Demokratie und Verantwortung gerade steht. Und wie viel Wahrheit man den Menschen zumuten darf.
So geht Demokratie nicht
Es werden ziemlich viele Phrasen gedroschen. Selbst von den Nachwuchs-Stuttgartern, die nach den Ereignissen der eskalierten Parkdemonstration am 30. September krakeelen: „So bringt man uns Demokratie nicht bei.“ Viel zentraler ist aber wahrscheinlich die Frage, wer das, was dieser Film zeigt, eigentlich so genau wissen will. Oder für wen der Film gemacht ist. Klar ist: Dadurch, dass Reischl selbst die Ereignisse, die die Proteste befeuerten, die Beschlüsse, Bauphasen und so weiter, nicht erklärt, taugt der Film nicht dazu, Uneingeweihten die Ereignisse des vergangenen Stuttgarter Sommers zu erklären. Als Erinnerungsvideo für alle Stuttgarter, die dort demonstriert haben, wie sie sich endlich mal nicht alles haben bieten lassen, taugt er allerdings vielleicht. Oder für wirkliche Stuttgart-21-Fans.
Zumindest, wenn sie bereit sind, über die zahlreichen technischen und stilistischen Katastrophen des Films hinwegzusehen. So liebt Reischl Schnitttechniken, die man in Filmen sonst aus gutem Grund eher selten sieht – von wilden Überblendungen und Montagen bis hin zum Zeitraffer. Quälend langsame Schwenks übers Bahnhofsgelände oder eine Protestierendenmenge unter Regenschirmen wechseln sich mit wild herumgerissenen Handkamerabildern ab.
Untermalt wird das alles mit der Musik, die die protestierenden Bildungsbürger von Stuttgart selbst gemacht haben – vom Violinenkonzert bis zum umgedichteten Banana-Boat-Song. Übersteuerter Ton? Hält Reischl nicht davon ab, ihn trotzdem zu nutzen.
O-Ton Walter Sittler
Am grauenvollsten ist aber die Vorliebe des Filmemachers für das Einblenden von O-Tönen. Die nämlich spielen in kleinen Laptops oder Fernsehern, die Reischl in seine Stuttgart-Stadtansichten hineinmoniert. Da kommen dann der Stuttgart-21-Aktivist und Schauspieler Walter Sittler zu Wort, oder Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster wird lächerlich gemacht. Häufig ist gut gemeint das Gegenteil von gut. Zum Beispiel bei diesem Versuch von Vaclav Reischl, die Stimmung des Stuttgarter Protestsommers einzufangen. MEIKE LAAF
■ „Oba bleiba!“ , ab 10.März im Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77