Tim Neuhaus gibt Soft-Rock-Streicheleinheiten, und die Stattmatratzen sorgen für stumpfen Spaß

Die größten Plagen aller Zeiten sind zweifellos die Pest, das Zölibat und die Blue Man Group. Letztere aber hat der Menschheit zumindest eine Dienst erwiesen: Tim Neuhaus praktizierte dort eine Zeitlang als Schlagzeugspieler. In gleicher Funktion war und ist er auch für Clueso und Hundreds tätig. Unter eigenem Namen aber spielt er Gitarre und singt und hat nun ein zweites Album aufgenommen und „The Cabinet“ genannt.

Das ist so unspektakulär, dass es schon wieder spektakulär ist. Unbeleckt von all seinen anderen Jobs, unbeeindruckt von allen modernen Strömungen und unbeschädigt von jedweder modischer Gefallsucht spielt und singt Neuhaus einfach seine Songs und lässt seine Band entspannt dazu dängeln. Das Tempo ist stets gemächlich, die Stimmung melancholisch und die Instrumentierung freundlich. Akustische Gitarren werden geklimpert und die Trommeln getupft, als sollte der Soft Rock der Siebziger Jahre auf der Schmusespur überholt werden. Neuhaus singt dazu ohne große Verrenkungen mit seiner butterweichen Stimme, und manchmal, aber nicht zu oft, stimmen die restlichen Herren der Band einen Backgroundgesang an, für den die Beach Boys ihre Surfbretter versetzt hätten.

Einigen mag das ganz eindeutig zu harmoniesüchtig geraten sein, aber der Wohlklang kommt so wundervoll unaufdringlich daher, so selbstverständlich und auf so unglaublich leisen Sohlen, dass selbst der Kitschvorwurf charmant um den kleinen Finger gewickelt wird. Denn diese Musik signalisiert dem Zuhörer vor allem: Wenn’s einem gefällt, ist’s schön, wenn nicht, auch nicht so schlimm.

So ist tatsächlich nicht ganz einzusehen, warum beispielsweise ein José González weltstarmäßig durchstarten durfte, während Tim Neuhaus immer noch in Berlin festhängt und sich mit Schlagzeugspielen über Wasser halten muss. Gut, der Name macht lange nicht so viel her, und González hatte diesen Song, zu dem im Werbespot eines japanischen Elektronikkonzerns 250.000 bunte Bälle durch San Francisco hüpften. Neuhaus trommelte bei der Blue Man Group. Eben.

Wenn die alte Weisheit von den Gegensätzen, die sich anziehen, wirklich wahr ist, dann müsste Tim Neuhaus die Stattmatratzen lieben. Denn deren frecher, dreister Poppunk ist der diametrale Gegenentwurf: Hier wird losgeprügelt, als gäbe es kein Morgen, die E-Gitarren rattern wie hysterische Zweitakter und darüber wird kräftig „Klartext“ gebrüllt, wie ein Songtitel verspricht.

Tatsächlich gelingt es den vier viel zu jungen Berlinerinnen, auf ihrem Album „Egoshooter“, erfolgreich so zu tun, als wäre Punkrock gerade eben vorgestern erfunden worden. Da wird mal der gute alte Alkoholkonsum gefeiert, und dann aber auch einfach mal das doofe alte Deutschland in die Tonne getreten. Ganz wie früher: stumpfer Spaß und Sozialkritik. Aber für Abstand zu den Originalen sorgt eine gehörige Portion Selbstironie, wie sie auch die verblichene Terrorgruppe pflegte, deren Sänger Archie Alert produziert hat.

THOMAS WINKLER

■ Tim Neuhaus: „The Cabinet“ (GHvC), live: 11. 3. im Magnet

■ Stattmatratzen: „Egoshooter“ (Aggressive Punk Produktionen), 12. 3. Release-Party im Lovelite